Alt, aber flexibel

Auch in der alternden Gesellschaft bleiben die Starken stark und die Schwachen schwach, resümiert Elisabeth Niejahr. Verteilungskonflikte nimmt sie einfach hin

Deutschland ist im Jahr 2030 ein Apartheidregime. Geteilt zwischen Alten und Jungen. Zur Bewältigung der alt gewordenen Gesellschaft hat man Seniorenreservate geschaffen, in denen die Alten versorgt werden. Von einem menschenwürdigen Leben kann aber nicht die Rede sein, weil die Alten in erster Linie als Kostenfaktor betrachtet werden. Was fehlt? Die Familie. Sie ist in den vergangenen Jahrzehnten auf der Stecke geblieben. Dieses düstere Szenario entwarf der Soziologe Reimar Gronemeyer im Jahr 1989. Er war wohl der erste Autor in Deutschland, der über die sozialen Folgen des demografischen Wandels nachdachte.

Zwanzig Jahre später ist dieser Wandel in aller Munde. Allerdings vor allem aus der ökonomischen Perspektive: die Demografie als Hebel zur Abschaffung des verhassten Wohlfahrtsstaates. Einen anderen Ansatz vertritt nun die Journalistin Elisabeth Niejahr in ihrem Buch „Alt sind nur die anderen“. Sie hält sich mit den Debatten um zukünftige Rentenbeiträge nicht lange auf. Statt dessen formuliert sie eine wichtige Erkenntnis: „Auch in Zukunft (werden) Trennlinien zwischen Starken und Schwachen, Mächtigen und Einflusslosen entscheidend sein“ – und eben nicht der noch von Gronemeyer befürchtete Krieg der Generationen.

Der zukünftige Altersaufbau ist ziemlich exakt vorherzusehen. Demografische Veränderungen vollziehen sich sehr langsam und sind dafür auch schwer zu ändern. Man weiß also heute schon wie das Verhältnis zwischen Jungen und Alten in den nächsten Jahrzehnten sein wird. Selbst ein Babyboom wie in den Sechzigerjahren könnte daran kaum etwas ändern. „So werden wir leben, lieben und arbeiten“, lautet der programmatische Untertitel des Buches.

Das „wir“ ist dabei keine Koketterie. Der demografische Wandel betrifft die Geburtsjahrgänge ab Mitte der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Dazu gehört die Autorin. Aber auch der Rezensent – und wohl die meisten Leser der taz. Elisabeth Niejahr sucht nach unserer Lebenswirklichkeit in 25 Jahren. Das Private sei politisch, schreibt die Autorin mit gutem Grund. Die alternde Gesellschaft wird die Lebensführung jedes Einzelnen betreffen. So werde sich in dreißig Jahren manches Einzelkind von heute für vier Alte verantwortlich fühlen müssen: Für die zwei geschiedenen Eltern und deren Lebenspartner. Eine interessante Beobachtung.

Niejahr geht in ihrem Buch von einigen kaum bestreitbaren Annahmen aus. Etwa dass wir länger arbeiten werden. Das Beschäftigungspotenzial wird dabei keineswegs sinken, wie es häufig unterstellt wird. Vielmehr wird in den nächsten Jahrzehnten die Zahl der arbeitenden Alten zunehmen. Darauf muss sich eine Gesellschaft einstellen. Wie organisiert man vernünftige Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmer? Wie füllt man die Phrase vom „lebenslangen Lernen“ mit Inhalten? Wie behält eine alternde Gesellschaft ihre Innovationsfähigkeit? Dynamik wird schließlich bis heute mit Jugend identifiziert. Die Autorin gibt auf diese Fragen nicht unbedingt Antworten, aber sie zeigt doch eine Richtung auf. So müsse der Arbeitsmarkt flexibler und der Grundsatz der besseren Bezahlung älterer Arbeitnehmer aufgegeben werden. Unter Flexibilität versteht sie dabei keineswegs ein dereguliertes Unternehmerparadies. Flexibilität bedeutet vielmehr den Abschied von den strukturierten Lebensläufen und Erwartungen der alten Industriegesellschaft. Viele Frauen praktizierten diese Zukunft schon heute: „Neuanfänge mit Mitte dreißig oder vierzig, Teilzeitjobs, vorübergehende Selbständigkeit anstelle der klassischen Abfolge Ausbildung – Beruf – Ruhestand.“

Vielleicht wird das unsere Zukunft sein. Allerdings gibt es keinen Grund, warum das in einem Land mit „klaren und schwer überwindbaren sozialen Gegensätzen“ stattfinden muss. Diese Spaltung wäre das Ergebnis von Verteilungskonflikten. Die haben aber nichts mit Demografie zu tun. Hier liegt auch das Problem der Autorin. Sie diagnostiziert nämlich nicht nur eine wachsende Ungleichheit, sondern auch „unrealistische Gleichheitserwartungen“ der Wähler. Dieses Wissen über den einzig wahren Realismus kann immer wieder erstaunen. Meistens werden dabei allerdings nur Interessen mit der Wirklichkeit verwechselt. Aber das ist der neoliberale Zeitgeist.

Gleichwohl ist Elisabeth Niejahrs Nachdenken über das Leben, Lieben und Arbeiten in der alt gewordenen Gesellschaft ein interessanter Versuch. Denn diese Debatte gilt es zu führen. Es geht schließlich um unsere Zukunft – und wer will schon in einem Apartheidregime leben? FRANK LÜBBERDING

Elisabeth Niejahr: „Alt sind nur die anderen. So werden wir leben, lieben und arbeiten“. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004, 224 Seiten, 17,90 Euro