Die Nord-CDU und ihr Führungskräfteproblem

Schleswig-Holstein Der Rücktritt des CDU-Spitzenkandidaten bringt die Partei in Bedrängnis

Ingbert Liebing ist nicht mehr CDU-Spitzenkandidat Foto: Carsten Rehder/dpa

KIEL taz | Sechs Monate vor der Landtagswahl muss sich die CDU Schleswig-Holstein neu aufstellen: Nachdem der bisherige Spitzenkandidat Ingbert Liebing unerwartet seinen Rücktritt erklärt hat, soll nun der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Daniel Günther, den Job übernehmen. Am Mittwoch präsentierte er in Kiel das Programm, mit dem die Partei gegen die jetzige Regierungskoalition aus SPD, Grünen und der Minderheitenvertretung SSW punkten will. Der 43-Jährige Günther, der seit 2009 im Kieler Parlament sitzt, gehört im Land zu den bekanntesten Gesichtern der CDU. Überregionale Strahlkraft aber fehlt der Partei, die jahrzehntelang die beherrschen Kraft in Schleswig-Holstein war und aktuell die stärkste Fraktion im Parlament stellt. Das könnte sich nach der Wahl im Mai 2017 ändern. Eine Umfrage sieht die CDU mit 26 Prozent hinter der SPD mit 31 Prozent. Dieses schlechte Ergebnis nannte Liebing als Grund, warum er die Partei nicht in die heiße Phase des Wahlkampfs führen will.

Sogar in Sachen Rücktritte waren sie schon mal besser: Als im Herbst 2011 die damalige CDU-Hoffnung Christian von Boetticher reumütig das Spitzenamt räumte, nahm die ganze Republik Anteil an seinem Auftritt mit Taschentuch und seinem Geständnis, die Affäre mit einer 16-Jährigen sei Liebe gewesen. Diesmal gab es nur einen eiligen Pressetermin, bei dem Ing­bert Liebing vor allem erleichtert wirkte, das Amt los zu sein. Der 53-jährige Bundestagsabgeordnete war trotz der Doppelrolle als Landesparteichef und Spitzenkandidat so gut wie unbekannt geblieben. Bestenfalls erntete er Kopfschütteln, etwa mit dem Ruf nach einer „Verabschiedungskultur“ für Flüchtlinge.

Seit dem Abschied des ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen, dessen bärig-poltriger Charme im Land gut ankam, ist die CDU Schleswig-Holstein auf der Suche nach einer Führungspersönlichkeit. Der Spitzenkandidat von 2012, Jost de Jager, schaffte nicht einmal den Einzug in den Landtag. Schuld daran ist ironischerweise der zu große Erfolg der Partei. Da die CDU fast alle Direktmandate gewinnt, kommt die Landesliste nur selten zum Zug. Das Ergebnis: Die Landtagsfraktion ist zu alt, zu ländlich und zu männlich. Obwohl dies in der Partei selbst als Problem gesehen wird, scheint eine Besserung nicht in Sicht. So verlor kürzlich eine profilierte Abgeordnete ihr Mandat an einen Mann, der bisher nur kommunalpolitische Erfahrungen aufweisen kann.

Daniel Günther will nun neue Begeisterung in die Partei und ins Land tragen

Daniel Günther will nun „neue Begeisterung in die Partei und ins Land tragen“. Der Vater einer Tochter stammt aus dem Ostseestädtchen Eckernförde und war nach seinem Studium fast ausschließlich in Parteiämtern tätig. Inhaltlich will die CDU auf das Motto „sicheres Leben“ setzen. „Die Menschen sollen sich auf den Staat wieder verlassen können“, sagte Günther bei der Vorstellung des Programmentwurfs. Dazu sollten die Bereiche Verwaltung, Polizei, Schulen und die Gesundheitsversorgung gestärkt werden. Der jetzigen Regierung unter Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) warf er Ideenlosigkeit vor. Esther Geisslinger