Jedes zweite Kind entrechtet

Kinderrechte 20 Jahre nach Verabschiedung der UN-Konvention gibt es Fortschritte. Doch auch die Folgen von Wirtschaftskrise und Klimawandel treffen die Kleinen am härtesten

AUS BERLIN FRANZISKA LANGHAMMER

Jedem zweiten Kind auf der Welt fehlen grundlegende Dinge zum Überleben. Dazu zählen ausreichende Nahrung, Schulbildung und sauberes Wasser: Kritisch fiel die Bilanz aus, die Unicef gestern zum 20. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention zog. „Das Bewusstsein für Kinderrechtsverletzungen ist in den letzten Jahren gestiegen“, sagte Regine Stachelhaus, Geschäftsführerin des Kinderhilfswerks in Deutschland, in Berlin. „Aber es gibt immer noch eine große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.“

Die UN-Kinderrechtskonvention wurde am 20. November 1989 von den Vereinten Nationen beschlossen und bisher von 193 Staaten weltweit unterzeichnet und ratifiziert. In 54 Artikeln sichert der internationale Vertrag jedem Kind grundlegende Rechte zu. Zu den Fortschritten der letzten Jahren zählt, dass die Kindersterblichkeit um 28 Prozent gesunken ist. Außerdem haben sehr viel mehr Kinder Zugang zu Schulbildung.

Dies dürfe aber nicht über die aktuellen Probleme hinwegtäuschen, so Stachelhaus: „Die Finanzkrise trifft die Kinder an erster Stelle.“ 200 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind wegen Nahrungsmangel unterentwickelt, als Folgen der Krise wird mit weiteren 50 Millionen hungernden Kindern gerechnet. Zudem bleiben Millionen von Kindern nach Schätzungen von Unicef Rechte auf Schutz, Bildung und Beteiligung vorenthalten. Die ärmsten Kinder sind am härtesten von Naturkatastrophen infolge des globalen Klimawandels betroffen: Das Krankheitsrisiko durch die starke UV-Strahlung und Infektionen wie Lungenentzündung, Durchfall und Malaria wächst.

Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) würdigte die Konvention und die Arbeit an deren Umsetzung durch Unicef. Die Erfolge sollen aber nicht von den bestehenden Problemen ablenken, so Niebel. Vor allem Bildung müsse im Vordergrund stehen: „Schulbildung ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben.“

In Deutschland gilt die Konvention bis heute nur unter Vorbehalt: Flüchtlingskinder und Kinder ohne Aufenthaltstitel werden ab 16 Jahren im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt und haben nur eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die neue Regierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, den Vorbehalt abzuschaffen.

Die Organisationen Pro Asyl und Separated Children bleiben auch angesichts dieses Versprechen skeptisch. Besonders die Vorbehaltsregelung sei dafür verantwortlich, dass die Probleme in Deutschland von vor zwanzig Jahren im Kern immer noch bestehen, so Heiko Kauffmann von Pro Asyl. Dazu zähle unter anderem die Missachtung des Kindeswohls und die gesamte Praxis der Abschiebung. Nun stehe die Glaubwürdigkeit der neuen Regierung auf dem Prüfstand, so Kauffmann, denn von der Abschaffung des Vorbehalts hänge maßgeblich die Umsetzung der Konvention ab: „Kinder müssen an erster Stelle als Kinder und nicht als Ausländer behandelt werden.“

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