Stiefel im Wandel

Länderspiel Die Squadra Azzurra ist nächster Gegner des DFB-Teams im Jahresabschlussfreundschaftsspiel. Mit dem EM-Team hat die Squadra nicht mehr viel gemein: Sie ist physisch, taktisch und mental verjüngt worden

17 Jahr, kurzes Haar: Buffons Nachfolger Gianluigi Donnarumma Foto: dpa

Von Tom Mustroph

Bei der EM waren die Italiener mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren die Graubärte des Turniers. Sie waren abgezockt, taktisch clever und überraschten mit Angriffselan. Der damalige Nationaltrainer Antonio Conte, vor dem Turnier schon mit dem FC Chelsea handelseinig, hatte den kompletten Umbruch nicht gewagt und nur eine Übergangstruppe wettkampffit gedrillt.

Nachfolger Giampiero Ventura denkt in größeren Zyklen. Unter ihm ist das Durchschnittsalter auf 27 Jahre gesunken. Vollzieht sich auch der Generations­wechsel zwischen den Pfosten – vom 38-jährigen Gianluigi Buffon auf den erst 17-jährigen Gianluigi Donnarumma –, dann stehen die Italiener bei 25 Jahren Altersdurchschnitt. Beim Freundschaftsspiel gegen Frankreich löste der Teenager zur Pause den Oldie ab. Ein ähnliches Szenario könnte sich am Dienstag in Donnarummas Heimstadion San Siro gegen Deutschland ereignen. Den ­Segen dazu erteilt Buffon selbst: „Seit ich weiß, dass ich ihn als Nachfolger habe, kann ich ruhig schlafen.“ Weg frei für die Jugend also.

Ventura hat die Squadra Azzurra auch taktisch und mental verändert. Die Spieler müssen den Angriff suchen. Sie dürfen Fehler machen. Und – das ist der entscheidende Unterschied zu den Soldatenteams Conte’scher Machart – verzweifeln nicht gleich, wenn etwas danebengeht. Venturas Burschen können auch Comeback. Bei Rückstand sind sie nicht paralysiert, sondern entfalten ihr Können. Das konnte man in der WM-Qualifikation bereits beim Unentschieden gegen Spanien und der dramatischen Aufholjagd zum 3:2-Auswärtssieg gegen Mazedonien beobachten.

Die wichtigsten Protagonisten dabei waren das neues Sturmduo Andrea Bellotti und Ciro Immobile. Dynamik und Tore sind ihre Markenzeichen – sieben Treffer zusammen in den letzten vier Qualifikationsspielen. Gut, die Teams, gegen die sie trafen, sind keine Giganten des Weltfußballs: Mazedonien, Liechtenstein und Israel waren die Opfer. Aber die beiden Mittelstürmer harmonieren prächtig. Bellotti, 22 Jahre jung, ist ein Strafraumspieler, physisch stark, wendig, technisch gut und reaktiv. Immobile (26) ist mehr der Mann für den offenen Raum. Sie ergänzen sich perfekt. Beiden gemein ist auch, dass sie vom Klubtrainer Ventura für den Erstliga-Fußball fit gemacht wurden. Immobile wurde 2014 unter Ventura für den FC Turin Torschützenkönig in der Serie A. Nach den verunglückten Engagements bei Dortmund und Sevilla baute ihn Ventura eine Halbsaison lang in Turin wieder auf – und probierte dort bereits erfolgreich die Doppelspitze mit Bellotti. In der Serie A sind beide inzwischen getrennt, Immobile wechselte zu Lazio. Bei „Papa“ Ventura im Nationalteam können sie die erlernten Mechanismen aber weiter perfektionieren.

Taktisch profitieren sie vom extrem offensiven 4-2-4, das sich als Standardsystem gegen schwächere Gegner und als taktische Variante beim Aufholen von Rückständen herauskristallisiert.

Gegen die DFB-Auswahl wird Ventura wohl defensiver beginnen. „Sie spielen acht Jahre mit den gleichen Mechanismen, wir nur drei Tage“, äußerte er historisch begründeten Respekt vor dem Gegner. Auf die Verjüngungstendenzen wird er aber auch gegen den Weltmeister nicht verzichten. Als Spielmacher ist Marco Verratti gesetzt. Der 24-Jährige bildete einst unter dem legendären Zdenek Zeman beim Zweitligisten Pescara ein Trio Infernale mit Immobile und Lorenzo Insigne. Von Conte wegen defensiver Schwächen noch ignoriert, ist das Trio unter Ventura nun wieder beim Na­tio­nalteam vereint. Immobile hat dabei seinen Aktionsradius von Strafraum zu Strafraum erweitert. Verratti und Insigne setzen ihr Dribbeltalent mittlerweile auch bei der Balleroberung ein.

Alle drei sind Exponenten einer Mannschaft im Wandel, zu deren Qualität auch die neue Jugendwelle beim AC Mailand beiträgt. Neben Keeper ­Donnarumma wurden Linksverteidiger Mattia De Sciglio (24) und der wegen seiner Eleganz an Alessandro Nesta erinnernde Innenverteidiger Alessio Romagnoli (21) bereits eingesetzt. Ex-Serie-B-Torschützenkönig Gian­luca Lapadula (26) könnte am Dienstag eine Einwechselchance erhalten. Und für die fernere Zukunft kündigt sich der 18-jährige Spielmacher Manuel Locatelli an. Bei neun Saisoneinsätzen für Milan kam er bereits auf zwei Treffer, darunter das Siegtor gegen Juventus. Es geht wieder was im Stagnationsland Italien.