Totschlag und Fahrerflucht vor Gericht

Justiz Dienstag hat der Prozess gegen einen 27-Jährigen begonnen, der einen 13-Jährigen angefahren und schwer verletzt liegen gelassen hatte. Eine Erklärung oder Entschuldigung gibt es nicht

„Er konnte auch von einem glücklichen Ausgang ausgehen“

Verteidiger des Angeklagten

Keine Erklärung gab zum Prozessbeginn am Dienstag der 27-Jährige ab, der sich vor dem Landgericht wegen des Verdachts auf Totschlags verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, am 10. Juni dieses Jahres in der Vahr einen 13-Jährigen mit einem Auto angefahren und ihn anschließend lebensgefährlich verletzt auf der Straße liegen gelassen zu haben.

Mit 40 bis 50 Stundenkilometern soll er die Kreuzung an der Julius-Brecht-Allee, Ecke Adenauerallee überfahren haben. Und das um 12.30 Uhr, zu einer Zeit, zu der viele Schüler und Schülerinnen aus der nahen Oberschule die Straße überqueren.

Für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass der Angeklagte wusste, was er tat, als er trotz Rotphase über die belebte Kreuzung fuhr. „Damit nahm er den Tod anderer Verkehrsteilnehmer billigend in Kauf“, so der Staatsanwalt. Es sei ungewöhnlich, dass ein Verkehrsunfall nicht als fahrlässige Tötung, sondern als versuchter Totschlag angeklagt werde, räumte am Dienstag der vorsitzende Richter ein. Dennoch habe das Gericht die Anklage so zugelassen. Der Prozess müsse jetzt zeigen, ob der Angeklagte tatsächlich mit einer solchen inneren Haltung, die den Tod anderer in Kauf nahm, die Tat begangen habe.

Der Angeklagte wird, das wurde am ersten Verhandlungstag deutlich, nicht dazu beitragen, diese Frage zu beantworten. Seinen zahlreichen Freunden und Verwandten im Publikum zwinkerte er von der Anklagebank aus zu, aber für die Mutter des 13-Jährigen, die als Nebenklägerin am Prozess teilnimmt, hatte er keine Erklärungen oder gar eine Entschuldigung. Dafür wurden sie und die ältere Schwester des Unfallopfers nach Verhandlungsende auf dem Gerichtsflur von der Familie des Angeklagten beschimpft.

Sein Verteidiger wiederum forderte die Einstellung des Verfahrens. Nach seiner Meinung hat die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen Totschlags nicht schlüssig begründet. Nur weil sein Mandant in von der Polizei abgehörten Telefonaten kein Wort des Bedauerns geäußert habe, heiße dies nicht, dass er den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen habe. Möglicherweise habe er die Gefahr einfach nicht erkannt – und selbst wenn: „Er konnte auch von einem glücklichen Ausgang ausgehen“, so der Verteidiger.

Bei dem Unfall wurde das Kind laut Anklageschrift „in erheblicher Höhe durch die Luft geschleudert“ und schlug in 14 bis 15 Metern Entfernung auf dem Asphalt auf. Dabei erlitt der Junge so schwere Kopfverletzungen, dass ihm bei der Notoperation ein Schädelstück entnommen werden musste. Er befand sich mehrere Tage in Lebensgefahr und knapp drei Monate in einer Reha-Einrichtung.

Der Fahrer soll nach dem Unfall kurz ausgestiegen sein, bevor er, ohne sich um das schwer verletzte Kind zu kümmern oder einen Notarzt zu rufen, davonfuhr. Der 27-Jährige, der fünf Tage nach dem Unfall beim Feiern mit Freunden festgenommen wurde, war der Polizei wegen diverser Gewalt-, Betrugs- und Verkehrsdelikte bekannt.

Am Freitag wird der Prozess mit Zeugenaussagen fortgesetzt. Eiken Bruhn