Arbeitsalltag: Mitarbeiter der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung GmbH; hier hat auch Christian Nickel (siehe Text unten) seinen Arbeitsplatz Foto: Karsten Thielker

Herr Nickel und
der Münzprüfer

Teilhabe Christian Nickel arbeitet seit elf Jahren in einer Werkstatt für Behinderte in Lichterfelde. Der 54-Jährige wollte das anfangs überhaupt nicht. Heute ist er aber froh, den Job zu haben

Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Wupperstraße, Lichterfelde: Nach vier geübten Handgriffen liegen die Bauteile richtig zusammengesetzt unter der Stanzvorrichtung. Christian Nickel betätigt zwei Knöpfe gleichzeitig, die Stanze saust herab, mit links wirft er das fertige Bauelement in eine blaue Plastikwanne – und greift zu den drei nächsten Teilen.

„Für Münzprüfer stanze ich drei Teile zusammen. Den Grundkörper, ein Abdeckstück und hier kommt noch ein Magnet rein. Daraus werden die Schlitze gemacht, in die man Münzen reinwirft, zum Beispiel bei Waschmaschinen.

Ich arbeite seit elf Jahren in dieser Werkstatt. Seit fünf Jahren mache ich diese Arbeit, tagein, tagaus, mal auch Zureicharbeiten, dann lege ich die Teile fachgerecht hin, sodass meine Kollegin sie nur noch zu nehmen braucht. Oder Kontrollarbeiten. Das, was ich machen kann von der Motorik her.

Vorher habe ich sieben Jahre auf dem ersten Arbeitsmarkt gearbeitet, in einer Bibliothek, da habe ich Karteikarten geschrieben für die Bücher, mit Schreibmaschine. Ich würde gekündigt und war erst mal vier Jahre arbeitslos, weil ich nicht in eine Werkstatt wollte. Ich wollte nicht mit Behinderten zusammen arbeiten. Hab mich dann aber entschieden, es doch zu probieren und ein Praktikum gemacht. Es hat mir gut gefallen, ich bin dabei geblieben – bis heute.

War auch meine letzte Chance, überhaupt noch eine Arbeit zu bekommen. Die Vorteile in einer Werkstatt? Man hat mehr Freiheiten, ist unter seinesgleichen, merkt selbst, wo man Stärken und Schwächen hat. Auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt es nur starke Leute, das kann man nicht so vergleichen.

Bürsten oder Schneidebretter aus Holz: Viele der handgefertigten Dinge auf den Weihnachtsmärkten werden von Menschen mit Behinderungen hergestellt. Die Werkstätten bieten auch Dienstleistungen an oder produzieren Grundelemente für Fabriken. Viele Designer_innen und Start-ups lassen inzwischen in Werkstätten produzieren. Das klingt nach sozialem Engagement. Doch wer arbeitet eigentlich in den Werkstätten – und zu welchen Bedingungen? Ein Werkstattbesuch (Seite 44) zeigt, wie wenig Entgelt die Menschen auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt dort bekommen. Trotzdem wollen sie nicht unbedingt in den ersten Arbeitsmarkt wechseln. Denn der ist meist nicht inklusiv und konfrontiert sie mit anderen Härten. (usch)

Ich fühle mich hier deshalb wohl, weil ich sehe, dass es noch andere Menschen gibt mit noch mehr Problemen, größeren Schwierigkeiten, das steigert mein Selbstbewusstsein und hat mir gezeigt, dass ich eine Menge machen kann. Die Arbeit gefällt mir, da kann ich sehen, dass ich ganz schön was wegschaffen, ich sehe, was ich für Leistungen bringe.

Ich mag die kleine Werkstatt hier; am Westhafen sind es über 700 Leute, das sind mir zu viele Menschen. Ich wohne allein, in Reinickendorf und erledige alles allein, hab einen Scooter für Einkäufe, denn das Laufen wird schwieriger.“

Protokoll Uta Schleiermacher

Start-ups, die Werkstätten für Behinderte und geringes Entgelt ▶Seite 44–45