Österreich

Hoffnungszeichen aus Wien: Ein Grüner wird Bundespräsident. Der FPÖ-Kandidat verliert die Wahl deutlich

Der Retter des Alpenlandes

Sieger Als Student und SPÖ-Mitglied in Tirol der 68er Jahre galt er als Rebell, heute steht der bedächtige Wirtschaftsprofessor und ehemalige Grünen-Chef für Würde, Verbindlichkeit und Toleranz

Ihn als senilen Greis oder als Spion zu verunglimpfen hat nicht gezogen

WIEN taz | Zum zweiten Mal haben die Österreicher Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten gewählt – deutlicher noch als beim ersten Mal. Er verfügt gleichzeitig über ausreichend Würde und Selbstironie, um in der Hofburg den Versuchen der imperialen Inszenierung zu widerstehen und die weitreichenden Vollmachten des Amtes nicht auszureizen.

Dennoch hat er in den TV-Konfrontationen der vergangenen Wochen immer wieder die Fassung verloren, provoziert vom untergriffigen Stil seines Rivalen Norbert Hofer. Die Versuche, ihn als Linksextremisten, senilen Greis oder – wie zuletzt – als Spion zu verunglimpfen, haben letztlich nicht gezogen.

Der 72-jährige pensionierte Wirtschaftsprofessor hat im Wahlkampf den Begriff Heimat zu besetzen versucht, um die nach dem Ausscheiden der ÖVP in der ersten Runde frei gewordenen konservativen Stimmen in der Provinz einzusammeln. Ein Mann, der in verrauchten Studentenkneipen sozialisiert wurde und sein Berufsleben in Hörsälen und Studierzimmern zugebracht hat, warb mit unberührter Natur und Bergwelt. Im Tiroler Kaunertal verbrachte der langjährige Grünen-Chef die prägenden Jahre der Kindheit. Und für seine Eltern, emigrierte Niederländer, die vor Stalins Terror mit ihren Kindern nach Tirol flüchteten, war das schroffe Tal eine rettende Heimat.

Ausgerechnet 1968, im Jahr der Studentenrevolten, bekam Van der Bellen eine Assistentenstelle am Institut für Volkswirtschaft an der Uni Innsbruck. Der Geist der Revolution wehte auch ein wenig am Inn und trieb den jungen Volkswirt um. Sein Professor, ein Vertreter der klassischen Lehre, rühmte sich, er könne sich auch einen linken Mitarbeiter leisten. Und der 24-jährige Jungakademiker nahm den sicheren Job gern an. Van der Bellen hatte damals ein SPÖ-Parteibuch: Im politisch tiefschwarzen Tirol war er damit im öffentlichen Dienst ein Exot und Rebell.

Sein grünes Erweckungserlebnis hatte er 1984, als Naturschützer sich in eisigen Winternächten an Bäume in der Hainburger Au bei Wien ketteten, um die Abholzung des Waldes für ein Kraftwerk zu verhindern. Die damals von Kanzler Fred Sinowatz geleitete SPÖ sei den Protesten „vollkommen ratlos und vollkommen verständnislos“ gegenübergestanden. Die letztlich erfolgreiche Aubesetzung wurde zur Geburtsstunde der Grünen.

Erst einige Jahre später wurde Van der Bellen vom Abgeordneten Peter Pilz, der bei ihm studiert hatte, angeworben und schließlich 1998 für die Position des Parteichefs – Bundessprecher heißt das bei den Grünen – vorgeschlagen. Keine ganz unumstrittene Wahl, denn der kettenrauchende Professor mit seinem bürgerlichen Lebensstil verkörperte einen Typ, der sich von den meisten umweltbewegten Alternativen krass abhob.

Vielleicht gerade deswegen vermochte er neue Wählerschichten anzusprechen und führte die Grünen in den zweistelligen Prozentbereich. Er verweigerte das Coaching für professionellere Auftritte und konnte gerade durch seinen Verzicht auf Sprechblasen und seine nachdenkliche Art Sympathien weit über das grüne Biotop hinaus gewinnen. Selbst FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache findet den politischen Gegner persönlich sympathisch und erinnert sich an unzählige Zigaretten, die er im Raucherkammerl des Parlaments mit ihm konsumiert hat.

Der freundliche Opa mit dem lässigen Dreitagebart konnte aber durchaus ungemütlich werden, wie man sich in der Grünen-Fraktion erinnert. Richtig wütend reagierte er, als eine Gruppe der Parteijugend auf einem Plakat suggerierte, man möge einen Hundehaufen in die rot-weiß-rote Fahne wickeln: „Nimm ein Flaggerl für dein Gackerl. Wer Österreich liebt, muss Scheiße sein“.

Dass er 2008 nach dem ersten kleinen Rückschlag bei einer Nationalratswahl unaufgefordert zurücktrat, rechneten ihm auch politische Gegner als konsequente Geste hoch an. Es bedurfte einiger Überredungskunst, ihn aus der Polit-Pension zu holen und ins Präsidentschaftsrennen zu schicken. Einmal von seiner neuen Mission überzeugt, hat er sich aber mit voller Kraft in den Wahlkampf geworfen. Anders als von seinem Rivalen zu erwarten gewesen wäre, wird er als Präsident nicht polarisieren. Ralf Leonhard