Die Kuschelbrille abgesetzt

Geschichte Spät, aber nicht zu spät: Der Zoo dokumentiert die Aufarbeitung seiner Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus im Rahmen einer historischen Dauerausstellung

Zoodirektoren zeigten sich früher gern mit Tieren im Arm, so auch Lutz Heck 1940, hier mit einem Schuppentier. Der Zoologe war 1932–1945 im Amt als Leiter des Berliner Zoos Foto: Knorr+Hirth/Süddeutsche Zeitung/Ullstein Bild

von Claudius Prößer

Beim Betreten des Saals riecht es, wie es in neu eröffneten Ausstellungen meistens riecht: ganz dezent nach Pressspanplatte und Klebstoff. Geht aber einmal die Glastür auf, die in die dahinterliegenden Räume führt, ziehen Schwaden von Wildtieraromen über die Leuchttafeln. Das irritiert, aber nur ein bisschen, denn das Antilopenhaus im Zoologischen Garten ist nun mal das besterhaltene der wenigen historischen Gebäude, die den Krieg überlebt haben, und somit eine würdige Kulisse für die Auseinandersetzung der mehr als 150 Jahre alten Einrichtung mit ihrer Geschichte. Anfang Dezember wurde hier die Schau „Berliner Zoogeschichte|n“ eröffnet.

Der senkrechte Strich im Titel symbolisiert, dass „objektive“ Geschichte immer auch die Summe von subjektiven Geschichten ist. Allerdings stehen die in der Ausstellung nicht im Vordergrund, schon gar nicht in Form von Anekdoten über prominente Tiere wie Eisbär „Knut“, Gorilla „Knorke“ oder Flusspferd „Bulette“. Auch vom traditionellen Zugang über die vermeintliche Schaffenskraft visionärer Zoodirektoren hat sich Kurator Clemens Maier-Wolthausen, Historiker am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, völlig verabschiedet. Sein Ansatz ist die Entwicklung des Zoos von der Fasanerie des preußischen Königs hin zur Institution des Berliner Bürgertums – mit all ihren dunklen Seiten: der Missbrauch als Bühne für kolonialistische „Völkerschauen“ und die eilfertige Ausgrenzung von Juden unter dem Nationalsozialismus.

Vor allem Letztere war jahrzehntelang der große blinde Fleck im historischen Narrativ des Zoos – und auch der eigentliche Anlass, die Geschichte für alle BesucherInnen endlich transparent zu machen. Das Interesse am Verhalten der Zooleitung in den 30er und 40 Jahren des 20. Jahrhunderts war in den vergangenen Jahren gewachsen, die Historikerin Monika Schmidt hatte bereits im Auftrag der Zoo AG das Schicksal vieler jüdischer Aktionäre rekonstruiert, von deren Notverkäufen der Zoo noch Gewinn abschöpfte.

„Wir machen damit ein weiteres Kapitel der Geschichtsfindung auf“

Zoo-Direktor Andreas Knieriem

Schon zuvor waren die jüdischen Mitglieder aus dem Aufsichtsrat der altehrwürdigen Aktiengesellschaft gedrängt und durch stramme Nazis ersetzt worden. Auf einer Sitzung des Aufsichtsrats am 8. November 1938 schließlich schlug der Vorsitzende vor, Juden im Zoo per Beschilderung als „unerwünscht“ zu bezeichnen und ihnen den Erwerb von Dauerkarten zu verbieten – das Faksimile des Protokolls wird in der Ausstellung gezeigt. Diese Maßnahmen kamen nur deshalb nicht mehr zum Tragen, weil Juden nach dem anschließenden Novemberpogrom ohnehin der Besuch jeglicher Vergnügungsstätten verboten wurde.

Mit Lutz (eigentlich Ludwig) Heck hatte die Einrichtung von 1932 bis 1945 auch einen Leiter, der sich den Nazis willfährig andiente – wobei nicht ganz klar ist, ob aus Überzeugung oder aus reinem Opportunismus, wie der Historiker Wolfgang Benz bei der Ausstellungseröffnung anmerkte: Heck suchte die Nähe zum „Reichsjägermeister“ Hermann Göring, der dann auch die Versuche des Zoodirektors förderte, den ausgestorbenen, vermeintlich urdeutschen Auerochsen aus heutigen Rinderrassen rückzuzüchten. In einem Artikel des Völkischen Beobachters, den die Ausstellung ebenfalls zeigt, fantasiert Heck von einem „Deutschen Zoo“ mit aufwendig gestalteten Alpen- oder Heidelandschaften und einheimischen Tieren.

Benz, der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, war Teil des vierköpfigen wissenschaftlichen Beirats, der die Entstehung der Ausstellung begleitete. Deutlich wurde bei seiner Ansprache, dass er die Aufarbeitung durch den Zoo für spät, aber nicht zu spät und vor allem für gelungen hält. Er verwies auch auf die Gedenktafel für die früheren jüdischen Aktionäre, die bereits seit 2011 am Antilopenhaus hängt, und die „Kontextualisierung“ der Lutz-Heck-Büste durch ein Hinweisschild. „Diese Ausstellung ist keine Schadensbegrenzung, sondern das selbstbewusste Manifest einer bedeutenden gesellschaftlichen Einrichtung“, so Benz.

Hitlerjunge Nikolaus Willms war der jüngste Träger des Eisernen Kreuzes – und durfte am 14. Oktober 1942 für die Medien mit einem Löwenbaby im Berliner Zoo posieren Foto: Süddeutsche Zeitung/Ullstein Bild

„Wir machen heute ein weiteres Kapitel der Geschichtsfindung auf“, verkündete auch der seit 2014 amtierende Zoo-Direktor Andreas Knieriem. Er hatte die Aufgabe von seinem umstrittenen Vorgänger Bernhard Blaszkiewitz geerbt, der sich aber offenbar nicht sonderlich dafür interessiert hatte. Das komplett erhaltene Archiv – eigentlich ein Alleinstellungsmerkmal unter den deutschen Zoos –, war in der Ära Blaszkiewitz jedenfalls nicht genutzt worden. Laut Knieriem musste es erst einmal „entmüllt“ werden, damit Kurator Maier-Wolthausen dort angemessene Arbeitsbedingungen vorfinden konnte.

Der bedankte sich bei der Zooleitung ausdrücklich, dass sie ihn frei schalten und walten ließ und auf jegliche inhaltliche Einflussnahme verzichtete. Und er erklärte, dass der Blick auf Licht und Schatten der Historie einen eigenen optischen Auftritt verlange und deshalb nicht „im kuscheligen Grün des Zoo-Design“ daherkomme (die Signalfarbe der Schau ist rot). Am Ende applaudierte natürlich auch Knieriem – obwohl er selbst grundsätzlich im moosgrünen Sakko auftritt.

„Berliner Zoogeschichte|n“, kostenlose Dauerausstellung im Antilopenhaus des Zoologischen Gartens. Es gelten die unter zoo-berlin.de angegebenen Öffnungszeiten und Eintrittspreise