„Eisbären- nachwuchs im Zoo. Einfach süß!“

Das bleibt von der Woche Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz bringt die typische Berliner Gelassenheit zutage, die Diskussion um ein Mehr an Videoüberwachung ist entbrannt, die rechte Szene zeigt schäbige Anteilnahme am Angriff auf einen Obdachlosen, und am Ende des Jahres bleiben nicht nur schlechte Nachrichten – sondern auch ein paar gute und schöne

Die berühmt- berüchtigte Gelassenheit

Anschlag Breitscheidplatz

Es ist eine hiesige Eigenart, dass dem Berliner relativ viel egal ist

Der Breitscheidplatz ist für viele Berliner ein vertrauter Ort. Er ist einerseits Transitzone zwischen Ku’damm und Zoo. Andererseits ist dort einiges los: Straßenkünstler sitzen auf dem Platz, bieten Porträts und Karikaturen von bekannten Persönlichkeiten an, Touristen lassen sich zeichnen. Vor dem Weltkugelbrunnen – dem „Wasserklops“ – zeigen Tänzer und andere Krea­tive ihr Können, oft bildet sich eine große Menschentraube um sie herum. Zwei Schritte weiter, vor dem Europacenter, trinken Berliner und Besucher Kaffee, laufen hinüber zum Kino Zoopalast, besichtigen die Gedächtniskirche …

So kenne ich den Breitscheidplatz seit meiner frühen Kindheit – wie viele meiner Bekannten bin ich in Charlottenburg aufgewachsen. In der Nacht des Anschlags klingelten bei uns die Telefone. „Alles in Ordnung?“, fragten Eltern und Freunde. Plötzlich war das, was Terror genannt wird, mitten in unter uns. „Ich bin kurz nach dem Anschlag auf der Tauentzienstraße gewesen“, erzählt eine Freundin; Schüler meines alten Gymnasiums waren zur Tatzeit am Kino.

Doch trotz dieser unmittelbaren Nähe zum Anschlagsort ebbte die Aufregung unter meinen Bekannten schnell wieder ab. Nach den Pariser Anschlägen waren einige von ihnen bei der Französischen Botschaft, haben Blumen niedergelegt. Diesmal fährt niemand zur Gedächtniskirche.

Es wundert mich nicht. Als Berlinerin finde ich: Es ist eine hiesige Eigenart, dass einem relativ viel egal ist. Vielleicht auch islamistischer Terror. Diese Gleichgültigkeit ist nicht zu verwechseln mit Trauer, denn die gibt es natürlich: Viele Berliner sind betroffen, es sind Menschen gestorben und verletzt worden. Die meisten Leute, die ich kenne, hat der Anschlag aber weder in Angst versetzt, noch herrscht kollektive Verunsicherung. „Maximal unbeeindruckt“ nannte Spiegel Online letzte Woche die Stimmung in der Stadt. In anderen Medien war von der berühmt-berüchtigten „Berliner Gelassenheit“ die Rede. Ich finde, sie haben recht.

Sicher, der ein oder andere Berliner wird nun bestimmt etwas bedachter durch die Stadt gehen. Vielleicht mehr nach links und rechts schauen, auf ungewöhnliche Geräusche achten. Aber die Angst den Alltag verändern lassen? Und plötzlich Menschenmassen meiden? Zumindest in meinen Bekanntenkreis wird das kaum jemand tun.

Ein paar Tage nach dem Anschlag war meine Mutter auf einem Weihnachtsmarkt in Spandau – nein, sie habe „keine Angst“ gehabt. Und mein Großvater fürchtet sich immer noch mehr vor einem Aufstieg der Neuen Rechten als vor einem Terroranschlag. Leonie Schlick

Die Feuertaufe kommt noch

Senat und Sicherheit

Eine Watsche, die vor allem die SPD immer noch an der Backe spüren dürfte

Na wenigstens haben sie eine gute Figur gemacht. Als Innensenator Andreas Geisel (SPD) nach dem Anschlag den Breitscheidplatz besuchte, hieß es, er habe inmitten dieses Ortes der Trauer ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Und später, in den „Tagesthemen“, zeigte sich Michael Müller, der Regierende, tief betroffen. Feuertaufe bestanden, möchte man meinen.

Doch die eigentliche Bewährungsprobe kommt erst noch. Den Auftakt dazu hatte diese Woche Bundesinnenminister Thomas de Maizière gegeben, als er den rot-rot-grünen Senat bat, seine Haltung zur Videoüberwachung öffentlicher Räume „dringend zu überdenken“.

Eine öffentliche Watsche, die vor allem die Berliner SPD immer noch an der Backe spüren dürfte. Denn eigentlich haben auch die Berliner Sozialdemokraten nichts gegen ein paar mehr Kameras, allein die Linke und die Grünen wollen nicht mitfilmen. Auch nicht nach dem 19. Dezember, darauf haben die innenpolitischen Sprecher Hakan Tas und Benedikt Lux bereits hingewiesen.

Der Innensenator sieht das anders und will bis zur Senatsklausur am 9. Januar ein Sicherheitspaket schnüren. Und genau das ist nun die tatsächliche Bewährungsprobe für Rot-Rot-Grün.

Bleibt nämlich alles beim Alten, hat der Senat nicht nur den Innenminister gegen sich, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung. 60 Prozent der Deutschen, so eine YouGov-Umfrage nach dem Anschlag am Breitscheidplatz, befürworten ein Mehr an Videoüberwachung.

Sollte die aber kommen, hätten Linke und Grüne ein Problem. Hinzu kommt, dass sich die R2G-Partner nach dem Zwist um Andrej Holm einen nächsten Streit nicht erlauben können. Erst recht kein Durchstechen von Details der Klausur, wie es zuletzt beim Koalitionsausschuss zum Thema Holm geschehen war.

Gut möglich, dass die diplomatischen Drähte zwischen den Innenpolitikern der drei Koalitionsparteien bereits um den Jahreswechsel glühen. Gesucht wird ein Kompromiss, mit dem die SPD sagen kann, wir haben verstanden, und der die beiden Kleineren gleichzeitig das Gesicht wahren lässt. Zum Beispiel ein Pilotversuch mit Kameras am Alex oder am Kottbusser Tor.

Blöd nur, dass es den schon gab. Zwischen SPD und CDU. Und Linke und Grüne haben ihn in den Koalitionsverhandlungen kassiert. Uwe Rada

Perfide Anteilnahme der Rechten

Angriff auf Obdachlosen

Sich an Obdachlosen zu vergehen, ist vor allem eine Domäne von Rechtsextremen

Nach Schlägen mit einem Holzpflock und Tritten gegen den Kopf war der Obdachlose An­dreas Pietrzak bereits bewusstlos. Doch der Täter hörte nicht auf. Er überschüttete sein wehrloses Opfer mit Spiritus, dann zündete er es an. Pietrzak starb im Alter von 41 Jahren.

Dieses Verbrechen im bayerischen Plattling liegt bereits mehr als zehn Jahre zurück. Die Hemmungslosigkeit und Menschenverachtung, mit der es ausgeübt wurde, ist vergleichbar mit dem Fall, der sich am frühen Sonntagmorgen am U-Bahnhof Schönleinstraße ereignete – hier glücklicherweise mit einem glimpflichen Ausgang.

Bei den Tätern in Berlin handelt es sich um heranwachsende Flüchtlinge. Sechs stammen aus Syrien, einer aus Libyen. Für die Bewertung ihrer Tat ist das völlig irrelevant, könnte man meinen. Doch die Debatte über Gewalt von Flüchtlingen ist in volle Gange. Der AfD-Politiker Marc Vallender, Mitglied des Abgeordnetenhauses, sah die Sache so: Man möge ihm nicht mit der Aussage kommen, „das hätte genauso gut ein Deutscher machen können“. Stattdessen gäbe es „schlicht und einfach fundamentale kulturelle Unterschiede zwischen Europa und dem Nahen Osten“.

Vallenders Argumentation, genauso wie die der NPD-Jugend, die sich ebenfalls via Face­book echauffierte, und all der anderen rechten Rattenfänger ist so falsch wie perfide. Sich an Obdachlosen, also den Schwächsten der Gesellschaft zu vergehen, ist in Deutschland vor allem eine Domäne von Rechtsextremen. So war der Täter in Plattling ein 19-jähriger Neonazi. Und nicht nur dort: Die Liste der Opfer rechter Gewalt weist seit 1990 mindestens 28 ermordete Obdachlose aus, einige davon auch in Brandenburg.

„Wir haben nicht genug So­zial­arbeiter um jeden dieser Tausenden von ‚Einzelfällen‘ an die Hand zu nehmen und ihm beizubringen, dass solch ein Verhalten hier nicht ‚normal‘ ist“, schrieb Vallender im Bezug auf die Flüchtlinge. Doch für die extreme Rechte ist die Abwertung Obdachloser, sind Angriffe auf sie seit jeher „normal“, trotz aller Versuche von Sozialarbeitern. Dahinter steht die Ideologie von „lebensunwertem Leben“ und „Sozialhygiene“ – in historischer Kontinuität vom deutschen Faschismus bis in die Gegenwart.

Dass in jüngster Zeit die ex­tre­me Rechte immer mal wieder mit „Hilfsaktionen“ für Obdachlose in Erscheinung getreten ist, ändert daran nichts. Tatsächlich beruht der „Sinneswandel“ einzig auf dem Motiv, noch erbarmungsloser gegen Flüchtlinge hetzen zu können. So lange Deutsche auf der Straße landen, dürfe man keinen Fremden helfen, so die simple Botschaft. Versuche von rechts, den Angriff von Berlin nun für sich zu missbrauchen, sind daher infam. Getauscht wird eine Opfer-Zielgruppe gegen eine andere.

Erik Peter

Und es war doch nicht alles schlecht

Tschüss, 2016!

Versöhnlich wollen wir sein, auch allem Terror und Populismus zum Trotz

Das wird jetzt nicht leicht, angesichts von „AfD und Lkw“, wie es eine Kollegin neulich im Rückblick auf das sterbende Jahr formulierte. Aber wir, Ihre Berlin-Redaktion, versuchen es trotzdem: 2016 einfach mal gut zu finden. Versöhnlich wollen wir sein, auch und gerade allem Terror und Populismus zum Trotz. Mal sehen.

Januar: Freier Eintritt für alle ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen in Zoo, Tierpark und vielen Museen. Nette Geste seitens der Politik, mehr nicht? Mehr nicht. Trotzdem schön.

März: Das Wetter zu Ostern ist gut. Ja, auch darüber kann man sich freuen.

April: Berlin hat im Kulturhauptstadtjahr von Breslau endlich mal über den Tellerrand geguckt – und festgestellt, dass beide Städte nicht nur in der Vergangenheit viel gemeinsam hatten. Super, dass der Kulturzug bis Ende 2018 weiterfährt.

Juni: Der Senat kam endlich unter die Räder – im wortwörtlichen Sinn. In weniger als einem Monat unterschreiben im Frühsommer fast 100.000 BerlinerInnen für eine bessere Fahrrad-Infrastruktur. Noch nie hat ein Volksbegehren in Berlin schon in der ersten Stufe einen derartigen politischen Schwung entfacht und einen Druck auf die Politik aufgebaut, dem Rot-Rot-Grün nicht ausweichen kann.

Juli, August: Um noch mal zum Wetter zu kommen – der Sommer war doch – mit Rilke gesprochen – sehr groß. Was die Statistiker bestätigen. Ganz prosaisch vermelden sie, dass es 2016 in Berlin wärmer, trockener und sonniger war als sonst wo in Deutschland. Mit einem Frühstart der wonnigen Sommertage bereits im Mai. Also heiter weiter.

September: Das Landgericht Berlin entscheidet, dass die Teilräumung des linken Hausprojekts Rigaer94 durch die Polizei nicht rechtens war. Eine Schlappe für die großen und kleinen Mäusesheriffs dieser Stadt (ein herzliches Adieu an dieser Stelle auch an Exinnensenator Frank Henkel).

November: Eisbärennachwuchs im Zoo. Einfach süß!

Dezember: Die rot-rot-grüne Koalition – kurz: R2G – hat das erste Jahr heil überstanden. Gut, es waren bisher nur 23 Tage, aber wer hätte das gedacht!

Aber wir merken gerade, wir werden schon wieder sarkastisch. Das wollen wir aber nicht sein. Also besser schnell Schluss jetzt, aus und Ende. Happy new year! Die Redaktion