Wissen witzig

Science Slam ist eine Kunstform, mit der Wissenschaftler innerhalb von zehn Minuten leicht verständlich und mit Humor ihre Erkenntnisse vorstellen. Unsere Kontext-Autorin Borjana Zamani hat sich den Bodensee-Oberschwaben-Science-Slam in Weingarten bei Ravensburg angesehen

von Borjana Zamani (Text) und Tobias Greiner (Illustrationen)

Auf der Bühne ist es duster. Nur ein Video-Beamer bestrahlt den Bühnenhintergrund. Ein sportlicher junger Mann, mit kurzem, rötlichem Haar, stellt sich ins Beamerlicht. „Wollt ihr jetzt einen richtig guten Vortrag hören?“ Das Publikum jubelt. „Könnt ihr euch abschminken“, sagt er. „Ich bin Physiker.“

Freitagabend. Etwa 200 Leute sitzen im Kulturzentrum Linse in Weingarten. Der Saal ist voll. Studenten sitzen auf plüsch-roten Sesseln, halten Biergläser, Studentinnen in spitzen Boots und engen Karottenhosen, ein gepflegter Herr Mitte 50, neben ihm zwei fröhliche Damen gleichen Alters mit Kurzhaarschnitt. Sie halten ein Holztäfelchen und Kreide bereit. Gleich werden sie darauf die Noten für den Vortrag aufschreiben.

Diese Kunstform gibt es seit sechs Jahren in Deutschland. Sie ist dem Poetry Slam ähnlich, es ist aber ein Wettbewerb im wissenschaftlichen Vortragen. Hier muss es witzig und verständlich zugehen. Jeder Darsteller hat dafür zehn Minuten Zeit. Alles ist erlaubt: hässliche Fotos, schräge Vergleiche, Video und Karikatur. Wer innerhalb dieser Zeit am besten vorträgt und am witzigsten präsentiert, gewinnt den Science Slam. Das Publikum entscheidet.

Der Physiker auf der Bühne heißt Benjamin Thaidigsmann, 26 Jahre alt. Er will die Zuschauer aufklären, „wie Elektronen und Löcher das Klima retten können“, sagt er. Benjamin ist Doktorand am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg und zur Abwechslung auch Koch in der gleichen Stadt.

„Physiker stellen immer Modelle auf“, sagt er „dann haben sie das Gefühl, sie werden's besser verstehen.“ Ein Paar Studenten lachen laut. Benjamin spricht gelassen und wartet geübt die Reaktionen des Publikums ab, bis er mit seinem Vortrag fortfährt. Die eine Hand steckt in der Tasche seiner Jeans, die andere klickt sich durch die Projektionen. Sein Modell zeigt eine Solarzelle. Die Sonne hebt Elektronen aus ihrer Position. Die streben dann zurück in die so entstandenen Leerstellen. So entsteht Strom. Fazit: „Die Welt ist gerettet.“ Das Publikum gewinnt eine vage Ahnung davon, wie Photovoltaik funktionieren könnte und tuschelt vergnügt.

Die grauen Köpfe der 50-jährigen Clique neigen sich zu den schwarz gegelten Haaren der Studenten. Sie besprechen angeregt, wie sie Benjamin benoten sollen. „Intelligenter Humor“, sagt der gepflegte Herr, „nicht nur so ein lockeres Dahergerede, sondern gut aufgebaut“, nickt er zufrieden. Die Studenten entscheiden spontan und gehen Bier holen. Die beiden Damen notieren Neunen auf ihr Täfelchen, wischen sie mit einem Enten-Schwämmchen wieder ab und es erscheinen zwei Achten. Zehn wäre die Bestnote.

Erfunden hat den Science Slam Alex Dreppec aus Darmstadt. Er ist früher mit eigenen Gedichten und Kurzgeschichten bei Poetry Slams aufgetreten. Während seiner Doktorarbeit in Psychologie über die Verständlichkeit wissenschaftlicher Texte kam ihm die Idee zum Science Slam und er organisierte den ersten in einem Studentenclub in Darmstadt. „Ich wollte das Klischee der langweiligen Wissenschaft brechen“, sagt Dreppec „mein Ziel war, Wissenschaft so darzubieten, dass es auch die weitere Öffentlichkeit interessiert.“

Im Saal in Weingarten ertönt die Titelmusik der Sendung mit der Maus, dann betritt ein Veteran im Fach „Wissenschaft und Show“ die Bühne. Ein zweiter Benjamin, mit Nachnamen Stegmann, 28 Jahre alt, Doktorand am Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie der Universität in Ulm. Hier schon als „Ben“ bekannt. Er ist kräftig, trägt Brille und Musketierbart. Der Haaransatz hat sich bereits ein wenig nach hinten verschoben. Seine sichere Stimme erreicht das Publikum, obwohl es um „Die Charakterisierung der oralen Microbiota von fungivoren Fledermäusen aus den Neotropen“ geht. Alle klatschen und pfeifen. Es solle gleich, übersetzt Ben, um Karies bei Frucht-Fledermäusen gehen.

„Die besten Slams sind die, wo man am Anfang nichts versteht, aber nachher begeistert sagt, Mensch, ich weiß jetzt, was zum Beispiel Quantenmechanik ist“, erklärt Ben. Als er von der Bühne wieder abgeht, wissen seine Zuschauer, dass Frucht-Fledermäuse keine Karies bekommen, obwohl sie nur Zucker fressen. Mikrobiologen versuchen die speziellen Substanzen im Speichel der Fledermäuse künstlich in Tuben und Fläschchen für die Menschheit herzustellen. Somit wären an diesem Abend auch die Zähne der Menschheit gerettet.

Ben zeigt ein paar eklige Fotos. „Hier ist ein Zahn mit Loch … Die Schwächeren von euch sollten jetzt wegschauen“, warnt Ben. „Hier ist ein Loch mit Zahn.“ „Baaah“ ruft das Publikum. „Ich hab's euch doch gesagt,“ freut sich Ben. Eine Frucht-Fledermaus ernähre sich von Feigen, trägt er weiter vor. Sie nehme dabei Unmengen an Zucker auf. Bei einem Menschen von 70 kg entspreche die Menge 113 Litern Cola. Jede Nacht. Ben baut Spannung auf und setzt Pointen. Das Publikum quietscht und lacht.

Der Erfinder dieser Vortragsform war von ihrem Erfolg selbst überrascht. Mittlerweile finden von Konstanz bis Husum, von Trier bis Chemnitz Science Slams statt. „Mir war klar, dass die Idee Potenzial hat, dass es aber so zündet, hat mich sehr gefreut.“ Hätte er seine Slam-Idee patentiert, hätte sie sich nicht so schnell ausgebreitet, vermutet Dreppec. Er wollte so „eine interdisziplinäre Kommunikation“ erreichen, die einfacher verlaufen kann. Der Anfang lief zäh. Das Publikum sei gleich begeistert gewesen, aber wenige Wissenschaftler hätten sich auf die Bühne getraut. Dreppec musste sie überreden. Als Gegenleistung half er beim Umzug und spielte in einem Kurzfilm.

Ben hat kein Lampenfieber. Er zeigt fröhlich seine Fotos, wie wohl ein Mensch aussähe, der jede Nacht über 100 Liter Cola verschlinge: Eine schwabbelige Wampe erscheint im Beamer-Bild. Sie wird vom Publikum gefeiert. Dann erscheint eine menschliche Zahnruine, daneben die weiß glänzenden Zähne der Frucht-Fledermaus. Bens Heldin.

Ben stellt Fragen, redet schnell, verheddert sich kurz und erzählt weiter. Ihm macht das nichts aus. „Ich will vom Klischee des weißhaarigen, langweiligen Professors wegkommen.“ Er sei heute da, weil es ihm Spaß mache und weil er Leute für die Wissenschaft und für sein Thema begeistern wolle. Nicht zu viele Tabellen erstellen, mehr mit dem Publikum flirten. Slamen will gelernt sein. Ben hat sichtlich Übung, und er räumt nachher den Gewinnertitel und den Pokal „Das gläserne Gehirn“ ab.

Ein anderer Teilnehmer referiert über die Schäden durch Viehzucht. Ein weiterer über Energieverschwendung im städtischen Leben. Gute Inhalte, wenig Show. Das Publikum will jedoch beides.

Eine junge Professorin für Wirtschaftswissenschaft – Claudia Wiepcke aus Ravensburg – bringt den Zuschauerraum zum Wippen. Sie spielt den Videoclip „Lazy Song“ von Bruno Mars vor. Er singt, dass er heute im Bett bleibe, denn ihm sei nicht danach, irgendetwas zu tun. Wiepcke erklärt, welche Kosten für ihn entstehen, wenn er die „ökonomisch falsche Entscheidung“ treffe, nicht in die Schule zu gehen. Oder keinen Sex habe und nicht ans Telefon gehe. All dies müsse später kostenintensiv nachgeholt werden. So entgehe Bruno Nutzen, und ihm entstünden „Opportunitätskosten“.

Klingt nachvollziehbar. Aber es ist Freitagabend. Die Weingartner schaukeln in den Sesseln, klatschen in die Hände und singen mit Bruno: „Today I dont't feel like doin' anything“. Obwohl sie sich seit zwei Stunden wissenschaftlich betätigen.