„Gewinn für alle Beteiligten“

Ehrenamt Über Freiwilligendienste können Flüchtlinge die Gesellschaft mitgestalten. In Berlin und Brandenburg arbeiten 18 Geflüchtete in der Diakonie, sagt Swantje Haß

Im Ehrenamt: syrischer Flüchtling in einer Kirchengemeinde in Frankfurt (Oder) Foto: Diakonie Berlin-Brandenburg

Interview Alke Wierth

taz: Frau Haß, warum sollten sich Flüchtlinge ehrenamtlich engagieren?

Swantje Haß: Aus denselben Gründen, aus denen sich auch andere Menschen engagieren: um teilzuhaben und sich einzubringen, in der Gesellschaft mitgestalten zu können. Geflüchteten Menschen kann das sicher auch erleichtern, sich hier zurechtzufinden, unsere Gesellschaft kennenzulernen und in ihr anzukommen. Dazu bringen der Dienst und die Teilnahme an den dazugehörenden Seminaren soziale Kontakte und die Möglichkeit einer beruflichen Orientierung.

Wie groß ist das Interesse unter Geflüchteten, sich in dieser Weise einzubringen?

Die Nachfrage ist sehr groß, ich führe viele Bewerbungsgespräche – zum Teil mit Sprachmittler, weil auch Leute zu uns kommen, die erst kurz hier sind und noch geringe Deutschkenntnisse haben. Aktuell haben wir im Diakonischen Werk 18 Geflüchtete in unseren Freiwilligendiensten.

Und wer sind diese Geflüchteten?

Oft sind sie hoch qualifiziert. Viele sind Syrer, nur ein Drittel sind Frauen – leider, ich würde mir mehr weibliche TeilnehmerInnen wünschen.

Swantje Haß

Foto: Bornemann/Diakonie

31, Referentin für Freiwilligen­dienste beim Diakonischen Werk Berlin-Branden­burg-schlesische Oberlausitz.

Woher wissen Flüchtlinge von der Möglichkeit der Freiwilligendienste?

Über die Netzwerke der Diakonie und der evangelischen Kirche, zu der Flüchtlings- und Migrationsberatungsstellen gehören. Und es gibt auch eine Art Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Geflüchteten selbst.

Können alle Geflüchteten Freiwilligendienste leisten, oder gibt es rechtliche Einschränkungen?

Das Freiwillige Soziale Jahr und der Bundesfreiwilligendienst stehen grundsätzlich allen Menschen offen. Im November 2015 hat die Bundesregierung den sogenannten Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug ins Leben gerufen. Dieses zusätzliche Kontingent bietet neue Möglichkeiten, schließt aber andererseits Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern oder Menschen mit Duldung von einer Teilnahme aus.

Braucht man eine Genehmigung durch die Ausländerbehörde?

Ja, und da machen wir sehr unterschiedliche Erfahrungen in Berlin und Brandenburg. In den Brandenburger Landkreisen erleben wir oft, dass es den Fall noch nicht gab, dass ein Flüchtling einen Freiwilligendienst macht. Dann muss man manchmal ganz schön kämpfen, um die Beschäftigungserlaubnis zu bekommen. In der Berliner Ausländerbehörde gibt es seit Kurzem glücklicherweise einen Stempel, auf dem „Freiwilligendienst gestattet“ steht. Seit es den gibt, läuft vieles leichter. Er gibt den SachbearbeiterInnen offenbar eine Antwort auf die Frage, ob das überhaupt erlaubt ist oder nicht.

„Allein die Sprachkompetenz der geflüchteten Helfer ist eine Bereicherung“

Es gibt ja auch etwas Geld für den Freiwilligendienst: Dürfen Geflüchtete das behalten?

Das monatliche „Taschengeld“ beträgt 300 Euro bei einer Vollzeitbetätigung. Wer das Asylverfahren durchlaufen hat, für den gelten die ALG-II-Regeln: Da gibt es einen anrechnungsfreien Betrag, den man behalten darf. Bei denen, die noch im Asylverfahren sind, ist das anders: Für sie gilt ein anrechnungsfreier Prozentsatz von 25 bis 30 Prozent dessen, was sie verdienen. Die meisten geflüchteten Freiwilligen sind aber nicht in Vollzeit tätig. Das würden sie wegen der Sprach- und Integrationskurse gar nicht schaffen. Deshalb bekommen sie entsprechend weniger Geld.

Gibt es auch noch andere Vorteile?

Flüchtlinge, die sich noch im Asylverfahren befinden, bekommen mit dem Freiwilligendienst eine richtige Krankenversicherung, und zwar nicht nur für sich, sondern auch für Kinder und Ehepartner, falls vorhanden. Das ist ein Gewinn, denn normalerweise steht ihnen ja nur die Krankenversorgung in akuten Notfällen zu.

Das „Sonderprogramm Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug“ (BFDmF) gibt es seit November 2015. Gefördert werden darin mit Bundesmitteln bis Ende 2018 10.000 Freiwilligenstellen, die in der Flüchtlingshilfe erfolgen oder durch Geflüchtete geleistet werden.

In Berlin und Brandenburg beteiligt sich u. a. die Diakonie am Sonderprogramm und vermittelt Geflüchtete in Freiwilligendienste. Grundsätzlich steht Flüchtlingen auch die Möglichkeit offen, sich im normalen Bundesfreiwilligendienst ohne Flüchtlingsbezug (BFD) zu engagieren oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu absolvieren. (akw)

Wo setzen Sie Geflüchtete als Freiwillige ein?

Überall, wo wir andere Freiwillige auch einsetzen – abhängig davon, was sie möchten und was sie für Erfahrungen haben. Das besprechen wir im Bewerbungsgespräch. Natürlich haben Geflüchtete oft keine Vorstellung vom deutschen Kita- oder Schulsystem oder davon, was offene Jugendarbeit ist und was ein Freiwilligendienst dort bedeuten könnte. Dann schicken wir sie probeweise in die Einrichtungen, damit sie herausfinden, ob das etwas für sie ist.

Was machen die Einrichtungen für Erfahrungen mit den geflüchteten freiwilligen HelferInnen?

Sie sind begeistert. Für viele ist allein schon die Sprachkompetenz der Helfer eine Bereicherung. Und sie profitieren von den Perspektiven und Themen, die die Geflüchteten mitbringen – wenn diese etwa im Jugendclub einen syrischen Abend organisieren. Wichtig ist uns, dass die Geflüchteten dadurch als mitwirkende und gestaltende Akteure wahrgenommen werden und nicht nur als Empfänger von Hilfen und Unterstützung. Das merken wir auch in den begleitenden Seminaren.