Eine Art Rachenputzer

SCHWURBEL-INDIE-HIP-HOP Yoni Wolf und sein Quartett Why? haben etwas, das man im Pop gar nicht so oft findet: Humor. Auf ihrem neuen Album „Mumps etc.“ rappt der näselnde Anticon-Mitgründer selbstironisch über Ziegenpeter und jede Menge andere Wehwehchen

Heute wird kraftvoller produziert, man sucht verstärkt nach Ohrwürmern

VON MICHAEL SAAGER

Wie schrecklich! Erst Haarausfall („Alopecia“), jetzt Mumps. Eins fürchterlicher als das andere, und dann noch in der falschen Reihenfolge. Tiefsitzende Lektionen aus unserm Germanistik- und Kunstgeschichtsstudium derweil respektvoll mit den Lippen formend wissen wir natürlich, dass alle wahre Kunst eine Geschichte von Schmerzen und schweren Schicksalsschlägen ist. Die weniger romantisch-dramatische Erklärung ist wahrscheinlich auch nicht ganz richtig, könnte aber so lauten: Yoni Wolf, der Kopf des geschätzten Schwurbel-Indie-Hip-Hop-Quartetts Why?, hat etwas, das auf dem Planeten Pop gar nicht so leicht zu finden ist: Der Mann hat Humor. Auch deshalb heißt das jüngste Album der Gruppe aus Cincinnati „Mumps, etc.“

Hübsch bizarr, ja, krank geht’s zu. Wortspielreich rappt der passionierte Schnauzbartträger und Multiinstrumentalist Wolf Geschichten von Ziegenpeter und anderen Wehwehchen selbstironisch durch die Nase. Gleich im ersten Song, „Jonathan’s Hope“, legt er los, erinnert sich an den geschwollenen Hals seiner Kindheit und daran, was das mit ihm gemacht hat: „When I got better from the mumps, yes my swollen nut and neck shrunk / But, though subtle I can smell distinctly, some sick and swollen stink still to this day stays with me.“

Wer Why? sagt, muss auch Anticon sagen? Schön wär’s ja. Still ist es geworden um jene Spielart antikonventionellen Hip-Hops, wie sie seit Ende des letzten Jahrtausends vom 1998 in San Francisco gegründeten Independent-Labelkollektiv Anticon in die Welt geschickt wurde. Mini-Hype war das 2001 von den Labelbetreibern Yoni Wolf, Doseone und Odd Nosdam produzierte, höchst eigensinnige, eingängig hypnotische und gleichermaßen sperrige Debütalbum ihres Projektes Clouddead. Man musste kein ausgewiesener Musikkenner sein, um zu bemerken, dass es Clouddead und Co. ernst meinten mit der Neuerfindung von Underground-Hip-Hop aus dem Geiste von Psychedelic, Noise, Electronica und Folk.

Doch der Sensationswert auch dieser Musik war bald erschöpft; der grenzensprengende Sound spätestens 2004 als typischer Anticon-Sound etabliert. Neue Indie-Säue wollten durchs Dorf getrieben werden. Die meisten Anticon-Acts lösten sich in Luft auf; vor nicht allzu langer Zeit hieß es sogar, das Label habe seine Arbeit eingestellt. Geldsorgen, Privatprobleme, Pipapo. Und heute? Heute gibt es Flying Lotus und das Kreativlabor Brainfeeder, elektronischen Schlierendancepop von Maria Minerva und LA Vampires oder Retro-Klangschnipselbastelspaß mit Daniel Lopatin. Mal sehen, wie lange noch. Schließlich krebst sogar (Post-)Dubstep eher lahm im Kreis herum statt vorwärts in unbekannte Richtungen zu hüpfen. Was Why? betrifft, so wird man das Gefühl nicht los, dass Yoni Wolf und seinen Mitstreitern all das vollkommen wurscht ist. Modische Strömungen? Die Zukunft von Pop? Und sonst so?

Angefangen haben Why? 2003 mit leicht dissonanten Folk-Hip-Hop-Miniaturen, zu denen Wolf expressiv versponnene Lyrics zu einem endlosen Band knüpfte, indem er pausenlos Rapidiome und traditionellen Gesang verband. Das macht er heute noch. Seit seinem Erfolgsalbum „Alopecia“ (2008) klingt es allerdings besser. Es wird kraftvoller produziert, man sucht verstärkt nach Ohrwürmern, die der Hörer dann herzen darf, auf „Mumps, etc.“ zum Beispiel: Wo leicht komplizierte Beats einen entspannten Takt schlagen, Melodienverläufe aus pointiert gesetzten Pianoakkorden, feinen Harfenklängen, nuanciertem Glockenspiel und niedlich anmutenden Chorgesängen einander subtil in die Quere geraten oder elegant-kurvige Wege nehmen, um sich hymnisch aufzuschwingen.

Krank ist Wolf indessen nicht so gern: „Es fällt mir schwer, meinen Körper hinter mir zu lassen, wenn ich krank bin. Wenn man gesund ist und sich gut fühlt, dann denkt man erst gar nicht über den eigenen Körper nach und ist frei für andere Dinge. Und genau das will diese Platte, sie ist eine Art Rachenputzer.“

■ Di, 4. 12., 21 Uhr, Uebel & gefährlich, Feldstraße 66