Wer Ziegen loswerden will, erfährt viel über Menschen
: Vierbeiner zu vergeben

Foto: privat

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Sie bei Freunden von Freunden unterbringen zu wollen, um sie dann immerhin noch gelegentlich besuchen zu können, ist edel im Sinn, aber Aufschub in der Praxis. Im Übrigen haben Freunde von Freunden, ähnlich wohlmeinend wie wir, genauso wenig Ahnung von Ziegen. Immerhin kennen die Freunde sich selbst gut genug, um uns mitteilen zu lassen: Sie seien noch nicht so weit.

Unsere Freunde von Freunden unterdessen, erholen sich außerdem noch von einer Schlachtorgie: 30 Stück Geflügel gelangten bei Ausbruch der Vogelgrippe unters Messer, ohne dass sie jemals ausgebrochen wäre, plus ein Stier und zwei Lämmer. Die andern beiden verendeten unglücklicherweise im Elektrozaun. Amateure sind eigentlich nie so weit.

Allerdings ist ihre selbstgebaute automatisierte Rupfmaschine mit importierten Plastik­rupfknüppeln aus Deutschland mehr als zu Materie gewordenes Anfängerglück.

Seitdem wir die Ziegen loswerden wollen, merke ich, dass sich überhaupt wenig Menschen mit Tieren auszukennen scheinen. Nicht die toughen dänischen Hobbyschlachter, die auf die Annonce hin anrufen, und fragen, ob wir die Tiere auch enthornt liefern. Offenbar fürchten sie dann bei dem „Hörner gegen Messer“-Showdown ihres nur halblegalen Back-to-the-roots-Erlebnisses einen ungewissen Ausgang.

Auch die Ausländer haben keine Ahnung: „Wir wollten sie gerne mit nach Afghanistan nehmen, als Hochzeitsgeschenk.“ – „Wir verkaufen sie nicht als Schlachttiere.“ – „Nein, wir wollen sie nicht schlachten. Glauben Sie, die passen in einen VW-Bus? Zwischen die Rücksitze?“ – „Die sind also nicht stubenrein, das wissen sie schon. Ich würde Ihnen da schon eher einen Anhänger empfehlen.“ Und dann fällt mir ein: „Ach ja, und es ist natürlich nicht legal, ein Tier weiter als 50 km privat zu transportieren.“

„Wie lange fährt man nach Afghanistan?“ Und plötzlich fühlt sich die Welt größer an, während ich mir vorstelle, was wohl noch so in dänischen Kleinwagen, die gut 6.000 Kilometer quer über Russland transportiert werden, sein mag.

Über die Türkei gekommen ist Refat und was er zu sagen hat, ist für mich verdaulich und kindgerecht. „Was ist euer bester Preis für drei? Und natürlich will ich sie nicht schlachten. Du kannst sie jede Woche besuchen kommen!“ Refats Worte machen mich froh. Sie geben auch seiner 9-jährigen Tochter die Gewissheit, mit der sie mir vor einem halben Jahr erklärte: „Nein, den zwei Hühnern fehlt gar nichts! Die sind nur vollkommen kahl auf dem Rücken, weil es Sommer ist und ihnen sonst zu warm!“

Oder, dass als Refats Großvater 120 wurde, ihm sein drittes Gebiss voll Zähne wuchs.

Wer’s glaubt wird selig. Aber wer seine drei Ziegen – vernachlässigt, versorgt, gehasst, geliebt, mit Namen versehen – ans Messer liefert, der verspielt seinen Segen.

Und das Bild ihrer Augen, aus denen zu ihrer eigenen Überraschung das Leben plötzlich schwindet, wird mich – und darin liegt der Fluch – mit der Zeit ähnlich unberührt lassen wie die Hühnerleberwurst und der Nicht-Biokäse in meinem Kühlschrank.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle.