Zaghafte Vergangenheitsbewältigung

In Indonesien hat vor 40 Jahren ein dubioser Putschversuch zur Zerschlagung der drittgrößten kommunistischen Partei der Welt und zum Mord an bis zu einer Million Menschen geführt. Langsam beginnt die Aufarbeitung der Ereignisse

BERLIN taz ■ „Wir wissen nicht, was unsere Schuld ist. Wir waren nur loyal zu unserem Präsidenten Sukarno“, sagt Willy Wirantaprawira. Der 66-jährige Jurist, der bis 2004 am Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg arbeitete, ist einer von 16 Klägern, die in Indonesien für eine Rehabilitierung hunderttausender früherer politischer Gefangener und Exilanten kämpfen. Doch das Gericht in Jakarta wies am 14. September die Sammelklage ab. Begründung: Es sei gar nicht zuständig.

Wirantaprawira, der von Indonesiens Regierung 1963 zum Studium in die Sowjetunion geschickt worden war, wurde nach seiner Rückkehr 1968 unter Kommunismusverdacht verhaftet. Zuvor hatte am 1. Oktober 1965 in Jakarta ein Putschversuch stattgefunden, dessen Auswirkungen Indonesiens Politik bis heute prägen. Sechs Generäle wurden damals von Soldaten ermordet. Generalmajor Suharto schlug den Coup mit loyalen Truppen nieder. Er gab vor, Sukarno zu schützen, doch zielte er auf dessen Macht. Suharto schob den Putsch, dessen genaue Umstände bis heute unklar sind, allein der Kommunistischen Partei (PKI) in die Schuhe. Die war mit mehr als drei Millionen Mitgliedern die drittgrößte KP der Welt und kooperierte eng mit dem Nationalisten Sukarno. Beobachter sahen die PKI kurz vor der legalen Machtübernahme.

Dies wollten rechte Militärs, aber auch die US-Regierung, die gerade den Krieg in Vietnam eskalierte, vereiteln. Suharto ließ Berichte über den Putsch manipulieren und gab in einer Art Gegenputsch die überraschte PKI zum Abschuss frei. In den Folgemonaten wurden etwa 1,7 Millionen Menschen verhaftet und hunderttausende ermordet. Das Militär stachelte rechte Bürgerwehren und islamische Gruppen an, die gegen jeden vorgingen, den sie des Kommunismus verdächtigten. Eine halbe bis eine Million Menschen starben.

Suharto entmachte im März 1966 den überrumpelten Sukarno und wurde ein Jahr später offiziell Präsident. Während seiner Diktatur wurden der Antikommunismus und die Mär der Alleinverantwortung der PKI für den Putsch zur Staatsdoktrin. Von Beobachtern für wahrscheinlicher gehaltene Möglichkeiten, dass Sukarno-treue Offiziere einem Coup rechter Militärs zuvorkommen wollten oder dass der Putsch einer Verbindung der Offiziere mit einem mutmaßlich als Doppelagent agierenden Kontaktmann des PKI-Chefs Aidit zum Militär entsprang, wurden ebenso wenig untersucht wie die mögliche Verwicklung westlicher Geheimdienste.

Seit Suhartos Sturz 1998 kämpfen frühere politische Gefangene um Wiedergutmachung. Anfang der 70er-Jahre waren noch 70.000 Menschen inhaftiert, darunter 12.000 auf der Gefangeneninsel Buru, wo viele an Hunger und Malaria starben. Die meisten saßen ohne Anklage bis 1979 in Haft. „Wenn heute die Rebellen in Aceh, die jahrelang bewaffnet kämpften, amnestiert werden können, warum werden wir, die nie angeklagt wurden, weiter geschnitten?“, fragt Wirantaprawira. Jahrelang wurden die Ausweise Exgefangener gekennzeichnet, was ihre weitere Diskriminierung ermöglichte. Zwar geschieht dies nicht mehr offiziell. Aber es kommt weiter vor, dass Kindern und Enkeln von Exgefangenen staatliche Jobs verwehrt werden.

„Inzwischen trauen sich viele Opfer, über ihr erlebtes Unrecht zu sprechen. Die Atmosphäre hat sich gebessert, doch die Politik der Regierung hat sich kaum verändert. Ihr fehlt ein rechtsstaatliches Verständnis“, sagt Carmel Budiardjo. Sie arbeitete vor ihrer Verhaftung 1968 im Außenministerium. Seit 1973 kämpft sie von London aus für politische Gefangene in Indonesien, wofür sie 1995 den Alternativen Nobelpreis erhielt.

„Heute erkennen viele an, dass damals etwas fürchterlich schief lief, großes Unrecht geschah und viel im Dunkeln blieb“, sagt Goenawan Mohamad, Exchefredakteur des Nachrichtenmagazins Tempo und einer der führenden Intellektuellen Indonesiens. „Es gibt jetzt offene Diskussion und viele Berichte von Opfern. Doch Militärs und rechte Kreise verschließen sich den Entwicklungen.“

Garda Sembiring organisiert Veranstaltungen zum 40. Jahrestag des Putsches und seinen Folgen. „Vor einem Jahr habe ich dies nicht für möglich gehalten. Es gibt keine Beschränkungen der Regierung, doch müssen wir fürchten, dass Islamisten uns angreifen. Wir hoffen dies zu verhindern, indem wir Provokationen dokumentieren.“ Islamisten bedrohten auch Wirantaprawiras Anwälte. Er sagt: „Der Druck konservativer Kreise ist groß und die Justiz ein Produkt der Suharto-Zeit. Und das Militär hat noch viel Macht.“ SVEN HANSEN