Berliner Szenen
: Neokybernetik und Pilze

Humanoide im HKW

Wie lässt es sich leben im Material? Wollen wir das überhaupt?

Kürzlich hat sich im HKW wieder die ganze anthropogene Artenvielfalt versammelt. Die Technosphäre hatte sie gleich mitgebracht, um in der Auseinandersetzung mit neokybernetischen Kopplungen von lebendiger und toter Materie, nervös flimmernden Schaltkreisen, Platinen und Plastik brennende Fragen zu erörtern. Wie lässt es sich leben im Material? Wollen wir das? Oder: Was treibt die Technik nach Feierabend?

Das Auditorium war rammelvoll. Ein älterer Herr, der nicht warten wollte, stieß den verdutzten Einlasser einfach beiseite und verschwand lautlos in der Dunkelheit des Raums. Drinnen wurde der Black Quantum ­Futurism erstmals einem größeren Publikum vorgestellt. Diese zeitgemäße Philosophie nimmt unsere Zukunft einfach in die Hand, lässt sie kollidieren und formt unsere Wirklichkeit. Toll!

Im Theatersaal performte unterdessen eine Gruppe junger Leute um die Künstlerin Jenna Sutela mit Grubenlampen auf der Stirn die intelligenten Bewegungen des Schleimpilzes Physarum polycephalum nach.

Leicht angeekelt flüchteten wir in den Ausstellungsraum. Dort drängelte sich alles um eine Arbeit von Evan Roth. Am Boden vor unseren Füßen materialisierte sich eine Feedback-Schleife zwischen dem künstlichen anderen und uns selbst. Es war gespenstisch. Gedankenverloren zog ich eine der VHS-Kassetten aus der Raumskulptur Video Palace #44 von Joep van Liefland, und das medienarchäologische Monument fiel in sich zusammen.

Schließlich landeten wir in der Lounge. Während ich glücklich mein Bier umklammerte, ließ ich den Blick schweifen: Überall standen die Huma­noiden in kleinen Gruppen wie Tiere in einer Herde und stießen Rauchwolken aus, und James Ferraro spielte dazu den Soundtrack unseres verwirrten Zeitalters. Sascha Josuweit