„Diese Waffen sind gefährlich“

Aufrüstung 2016 wurden in Berlin mehr als fünfmal so viele Erlaubnisbescheinigungen für Schreckschuss- und Gaspistolen ausgestellt wie im Jahr zuvor. Das beeinträchtigt das allgemeine Sicherheitsgefühl, warnt Bianca Kastner vom Landeskriminalamt

Sie wie ein echter Revolver aus: eine Schreckschusspistole Foto: Oliver Killig/dpa/picture alliance

Interview Antje Lang-Lendorff

taz: Frau Kastner, können Sie als Polizistin eine Schreckschusspistole von einer scharfen Waffe unterscheiden?

Bianca Kastner: Das ist schwierig. Schreckschusswaffen sehen den echten Waffen zum Verwechseln ähnlich. Man muss schon sehr nah an die Waffe herankommen, um zum Beispiel ein bei Schreckschusswaffen übliches Zulassungszeichen zu erkennen.

Auf einige Meter Entfernung ist eine Unterscheidung unmöglich?

Man kann das in der Regel nicht erkennen. Wenn Polizeibeamte zu einem Ort gerufen werden, wo jemand eine Schusswaffe in der Hand hält, ist das auch für sie eine aufregende Situation, die nicht jeden Tag passiert. Beamte müssen dann schnell agieren. Sie müssen davon ausgehen, dass es sich um eine scharfe Schusswaffe handelt. Das erschwert die Lage natürlich und kann auch für den, der die Waffe gezogen hat, gefährlich werden.

Nun kaufen sich immer mehr Berliner solche Schreckschusspistolen. Im Jahr 2015 wurden 816 Kleine Waffenscheine ausgestellt, die man für den Besitz der Pistolen braucht. Im Jahr 2016 waren es 4.413, mehr als fünfmal so viele. Wie erklären Sie sich dieses Aufrüsten?

Der Anstieg begann ja nach den Vorfällen Silvester 2015/16 in Köln, insofern gehe ich schon davon aus, dass die Ereignisse in Köln und die Berichterstattung darüber eine Rolle gespielt haben. Viele dachten offenbar, dass so etwas auch ihnen zustoßen könnte, sie sind verunsichert.

Ist das nur eine gefühlte Unsicherheit, oder gibt es für Berlin Zahlen, die belegen, dass Frauen tatsächlich öfter belästigt werden?

Die Kriminalitätsstatistik der Polizei für 2016 wurde noch nicht veröffentlicht. Aber in den letzten Jahren hatten wir gerade bei Gewalttaten im öffentlichen Raum einen Rückgang. Und zu Übergriffen wie in Köln kam es in Berlin in dieser Dimension nicht. Es gibt keinen objektiven Grund, sich unsicher zu fühlen.

Experten machen auch Terroranschläge für die Verunsicherung verantwortlich. Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz ist die Nachfrage nach den Waffen aber nicht weiter gestiegen.

Der Kauf und Besitz von Schreckschuss- und Gaspistolen sowie von Signalwaffen, die Leuchtkugeln verschießen, ist erlaubt. Sie kosten zwischen 100 und 200 Euro. Wer sie in der Öffentlichkeit bei sich haben will, benötigt einen kleinen Waffenschein. Die Pistolen dürfen aber nicht offen sichtbar, sondern nur verdeckt getragen werden. Bei Veranstaltungen wie Festen oder Demonstrationen sind sie verboten.

Die Zahl der ausgegebenen kleinen Waffenscheine steigt: 2014 stellte die Berliner Polizei 488 dieser Erlaubnisse aus, 2015 waren es 816, im vergangenen Jahr 4.414. Die Zahl der insgesamt ausgegebenen kleinen ­Waffenscheine lag zu Jahres­beginn bei 14.000. (all)

Das wundert mich nicht, gegen einen Lastwagen hilft schließlich keine Schreckschusspistole. Die Leute kaufen diese Waffen vermutlich eher für Situationen, in denen man dem Täter direkt gegenübersteht.

Wie verändert es das Leben in der Stadt, wenn mehr Menschen mit solchen echt aussehenden Waffen hantieren?

Das muss das allgemeine Sicherheitsgefühl zwangsläufig negativ beeinträchtigen.

Warum?

Die, die sich solche Waffen zulegen, sind in der Regel sehr ungeübt in der Handhabung. Die meisten schaffen es gar nicht, die Waffe in einer Notsituation parat zu haben, dann nützt sie ihnen gar nicht. Und selbst wenn man sie parat hat, führt das im Zweifel nur zur Eskalation. Es kann sein, dass das Gegenüber wegen der Waffe erst recht ausrastet. Wenn jemand keine Übung damit hat, ist die Gefahr zum Beispiel groß, dass ihm die Waffe entwunden und gegen ihn selbst verwendet wird.

Wäre das so schlimm? Es ist doch nur eine Schreckschusspistole.

Die sind aber gefährlich. Schreckschusswaffen können schwere Verletzungen bewirken, gerade wenn sie aus geringer Entfernung abgefeuert werden. Es kann zum Beispiel zu Augenverletzungen, Hautverbrennungen und Knalltraumata kommen. Wenn der Lauf am Körper angesetzt wird, kann so ein Gasstrahl auch das Gewebe durchdringen und sogar zum Tod führen. Man muss für sich schauen, ob man das Risiko eingehen will, dass das im Notfall nicht so funktioniert wie gedacht und die Situation eskaliert. Gesellschaftlich gesehen schaukelt sich das hoch: Wenn ein Jugendlicher vor anderen mit einer Schreckschusswaffe prahlt, dann besorgt sich der nächste auch eine. Das kann Gewalt provozieren. Auch, weil sich Bewaffnete oft anders verhalten als Unbewaffnete.

Bianca Kastner

Foto: privat

42, ist Ansprechpartnerin für Gewaltprävention beim Landeskriminalamt und gibt Kurse zum Umgang mit Gewalt.

Inwiefern?

Mit Waffe fühlt man sich stark, überlegen, unverwundbar. Das mindert das Risikobewusstsein. Man ist dann weniger aufmerksam, begibt sich eher in Gefahrensituationen.

Wenn Menschen trotz allem das Bedürfnis haben, sich zu schützen, was raten Sie denen?

Wichtig ist es, frühzeitig potenziellen Gefahrensituationen auszuweichen. Wenn mein Bauchgefühl mir sagt, dass ich mich nicht wohlfühle, dann sollte ich darauf hören. Wenn man trotzdem in so eine Situation gerät, sollte man laut um Hilfe bitten. Gerade Frauen ist das oft unangenehm. Aber da sollte man sich überwinden und andere Leute laut und gezielt ansprechen. Als Helfer wiederum ist es gut, sich möglichst mit mehreren zusammenzuschließen. Und natürlich die Polizei zu rufen.