Deutsch-türkische Beziehungen

Eiszeit zwischen Berlin und Ankara. Der türkische Präsident poltert gegen Deutsche. Die streiten über türkisches Wahlkampfverbot

Vorwurf: „Nazi-Praktiken“

Türkei Präsident Erdoğan wirft Deutschen wegen der Absage von Wahlkampfauftritten Terror-Unterstützung vor und bezeichnet den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel als deutschen Agenten und „PKK-Terroristen“

von Fatma Aydemir

BERLIN taz | „Deutschland auf Hitlers Spuren“ prangt reißerisch vom Titel der türkischen Tageszeitung Yeni Akit am Sonntag. Neben der Schlagzeile druckt das Blatt eine Fotomontage, die Kanzlerin Angela Merkel mit Hakenkreuz-Armbinde zeigt. Es ist ein Bild, das in den vergangenen zehn Jahren immer wieder reproduziert wurde. Diesmal muss es für die Kritik am abgesagten Wahlkampfauftritt von Justizminister Bekir Bozdağ in Gaggenau herhalten.

Damit ging die regierungsnahe Presse auf das Statement Bozdağs ein, das „Auftrittsverbot“ sei eine „faschistische Methode“ und verstoße gegen „Menschrechtskonventionen“. Bei einer Ansprache in Istanbul am Sonntag legte Recep Tayyip Erdoğan nach. Der Präsident warf Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor: „Wir dachten, Deutschland hätte diese Zeit längst hinter sich gelassen, aber wir haben uns getäuscht“, sagte er. Schon am vergangenen Freitag hatte Erdoğan harte Töne gegen die Bundesregierung und insbesondere den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel angeschlagen. Yücel bezeichnete er als „PKK-Terroristen“ und deutschen Agenten. Der Bundesregierung warf Erdoğan Terrorunterstützung vor, weil sich Yücel mehrere Wochen in Istanbul auf konsularischem Boden aufgehalten haben soll.

Auch regierungskritische Stimmen in der Türkei zweifeln zunehmend am Umgang der Bundesregierung mit der AKP-Regierung. Mithat Sancar, Abgeordneter der prokurdischen Oppositionspartei HDP, bewertete ein Auftrittsverbot für türkische Minister in Deutschland sowie Boykottaufrufe als „völlig falsch“, weil jede Eskalation der AKP-Regierung kurz vor dem Verfassungsreferendum in die Hände spiele. Auch der CHP-Chef und Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu äußerte sich kritisch zu den geplatzten AKP-Auftritten in Deutschland: „Einerseits belehrt ihr die Welt über Demokratie, andererseits wollen zwei Minister einer Partei sprechen, aber aus diesem oder jenem Grund verbietet ihr diese Rede. Das finden wir keineswegs richtig.“

Der Abgeordnete und ehemalige CHP-Chef Deniz Baykal sagte gar seinen für Sonntag in Filderstadt bei Stuttgart geplanten und genehmigten Auftritt ab, wo er für Nein-Stimmen beim Referendum werben wollte. „Wir finden es nicht richtig, dass die AKP in Deutschland dieselbe Ausgrenzung erfährt, wie wir es in der Türkei tun“, sagte der Deutschlandsprecher der CHP, Hayri Cicekdagi zur Begründung. Man befürchte, dass Baykals Deutschland-Auftritt in der Türkei innenpolitisch ins­trumentalisiert werden könnte.

Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi durfte am Sonntagabend nach zwei Absagen doch noch im Kölner Senats-Hotel auftreten. Proteste gegen den Auftritt waren nicht angemeldet, die Polizei beließ dennoch eine Hundertschaft in Bereitschaft. Am Sonntagnachmittag sprach Zeybekçi ein Grußwort bei einem Gedenkkonzert in Leverkusen, wo auch Abgeordnete der Parteien CHP und MHP zugegen waren.