Urlaub in Auschwitz

Nationalsozialismus Im niederländischen Durchgangslager Westerbork waren Bremer Polizisten stationiert. Eine Ausstellung zeigt diese und andere „Bewakers“

Auch in der Bewacher-Ausstellung stehen die Opfer im Mittelpunkt Fotos: Erinnerungsort Kamp Westerbork

von Jan-Paul Koopmann

Man muss von „Heimat“ ja gar nicht viel halten, um in der Fremde irgendwie aufgerüttelt zu werden, wenn man was von zu Hause findet. Manchmal mag das schön sein, hier aber ist es ein Schock: Im Erinnerungsort Westerbork, in den Niederlanden, hängt ein altes Foto von einem Bremer Polizisten. Er und seine Einheit, das Polizeibataillon 105, haben die jüdischen Gefangenen bewacht, die aus den ganzen Niederlanden hier zusammengepfercht wurden. Und die Bremer haben auch die weitere Verschleppung dieser JüdInnen durchgeführt, wie Pfeile auf einer ausgestellten Europakarte zeigen – an Orte, deren Namen heute bekannter sind als Westerbork: Bergen-Belsen, Sobibór, Auschwitz.

Mit den Bewachern des Lagers befasst sich derzeit eine Sonderausstellung im Museum der Gedenkstätte „Kamp Westerbork“. Neben Ausrüstungsstücken und Uniformen säumen vor allem Fotos wie eben jenes der Bremer Polizisten den Ausstellungsraum. Die Raummitte ist auch in dieser Ausstellung den Gefangenen vorbehalten – wie um ihr Andenken auch dann zu wahren, wenn man diesmal die Täter in den Fokus rückt. Die Erinnerungsstücke und Bilder der Lagerinsassen finden sich heute umzingelt von den Exponaten der Bewachenden.

Die Ausstellung zeichnet die Arbeitsteilung der verschiedenen Instanzen nach: Die SS befehligte das Lager und bewachte es von außen, „grüne“ Polizeieinheiten im Inneren. Im „Ordnungsdienst“ (OD) wurden Gefangene selbst zu Bewachern: Sie waren Feuerwehr, prügelten die Lagerregeln durch und machten Jagd auf Geflüchtete. Im Lager soll damals von der „Jüdischen SS“ die Rede gewesen sein.

Gefangene systematisch zu Mittätern zu machen, war in vielen NS-Lagern verbreitet. Hier in Westerbork versprach man den Ordnungsdienstlern, dass ihre „Verlegung“ in den Osten, ihre Ermordung also, ausgesetzt werde. Befristet, versteht sich. Die Ausstellung urteilt nicht über die Gefangenen, die im OD arbeiteten. Aber sie vermittelt die Unterschiede: Zwei Fotografien hängen wohl nicht zufällig an genau entgegengesetzten Rändern des Raumes. Das eine zeigt eine Soldatenreihe der Waffen-SS schräg von vorn. Der Fotograf ist sichtlich bemüht, der bekannten Bildsprache faschistischer Ästhetik gerecht zu werden. Fotografisch beeindruckt sein Versuch nicht, aber immerhin wissen die Soldaten, was sie zu tun haben, und starren entschlossen in die Ferne. Und gegenüber dann der Ordnungsdienst: Einer lugt verschämt zur Kamera hinüber, die Reihen stehen krumm und schief. Es dürfte zwar nicht im Sinn des Fotografen gewesen sein, doch die Aufnahmen sprechen Bände über Unterwürfigkeit und Angst einen Seite – und das stolze Abliefern einer Parade auf der anderen.

Die Ausstellung zeigt keine unmittelbaren Gräueltaten. Und wie gesagt: Sie urteilt nicht. Oder kaum. Über die Bremer Ordnungspolizisten steht auf einer Schautaufel zum Weitertransport von Westerbork nach Auschwitz-Birkenau: „Nach den Selektionen und dem Deponieren des Gepäcks auf der Rampe war ihre Arbeit erledigt und sie konnten ihren Urlaub genießen.“ Das klingt zynisch, scheint aber tatsächlich auch für die Polizei das Wesentliche gewesen zu sein. Die Fahrt zum Vernichtungslager im Extraabteil der Deportationszüge war eine Abwechslung vom Kasernenalltag, ein Ausflug, honoriert noch mit drei Tagen Sonderurlaub und Bremenvisite auf dem Rückweg.

Was nach 1945 aus diesen Polizisten wurde, ist in der Ausstellung nicht dokumentiert. Erforscht ist es inzwischen aber dennoch. Der Historiker Stefan Klemp hat die Verbrechen des Bremer Polizeibataillons 105 und ihre die konsequente Nichtverfolgung dokumentiert. Wo die Bremer an der Ostfront Zivilisten erschossen haben sollen, reichte ein überlebender Zeuge der Anklage nicht aus. Wo sie Kriegsgefangene massakrierten, einigte man sich auf einen Einzeltäter, der den Krieg nicht überlebt hatte. Und bei den Transporten von Westerbork nach Auschwitz fand man, dass aus Zug und Rampe allein noch keine Vorstellung vom Charakter der „Endlösung“ entstehen könne. Zwar hatte einer der Polizisten sogar ausgesagt, die SS-Leute hätten in Auschwitz über die Massenvernichtung gesprochen, aber laut Nachkriegs-Staatsanwaltschaft hätten die Polizisten ja nun nicht davon ausgehen können, dass diese Berichte auch stimmten.

Es muss nicht Sache der Niederländer sein, sich heute an der deutschen Nichtaufklärung der deutschen Verbrechen abzuarbeiten. Umgekehrt allerdings ist es ein guter Grund, aus Bremen nach Westerbork zu fahren und die Ausstellung zu besuchen.

Die Sonderausstellung „De bewakers van Westerbork“ ist bis zum 17. April zu sehen. Museum Lager Westerbork, Oosthalen 8, Hooghale, Niederlande