LESERINNENBRIEFE
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Tatort Spielplatz?

■ betr.: „Sprich mit mir! Jungen werden wie Mädchen Opfer pädosexueller Täter“, taz vom 12. 11. 09

Es ist gut, dass ihr euch des Themas sexueller Missbrauch an Jungen annehmt, und natürlich liegt hier vieles im Argen. Ihr stellt das Problem aber sehr oberflächlich dar! Als Erstes das begleitende Foto: ein Kind auf einer Schaukel! Das Klischeebild schlechthin in Artikeln und Filmberichten. Aber noch schlimmer: die Bildunterschrift „Pädosexuelle suchen auf Spielplätzen ihre Opfer“. Erstens ist der pädosexuelle Täter, der seine sexuelle Ausrichtung auf Kinder beschränkt, die absolute Ausnahme unter den Missbrauchstätern, und zweitens suchen sich TäterInnen wohl kaum ihre Opfer auf Spielplätzen, sondern im sozialen Umfeld als Vater, Priester, HeimbetreuerIn oder Fußballtrainer.

Nun zum Artikel selbst. Leider unterschlägt er, dass es seit mindestens 20 Jahren feministische Forscherinnen und Praktikerinnen sind, die auch auf die Problematik des Missbrauchs an Jungen aufmerksam machen und Präventions- und oft auch Interventionskonzepte entwickelt und umgesetzt haben. Bis heute vermisse ich auf Tagungen und Fortbildungen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – engagierte männliche Kollegen, die bereit sind, sich mit sexueller Gewalt an Jungen (und Mädchen) auseinanderzusetzen. Ihr weist darauf hin, dass sexueller Missbrauch an Jungen „weitgehend unerforscht“ ist. Das stimmt. Aber auch zu sexueller Gewalt an Mädchen gibt es bis heute in Deutschland keine repräsentative Studie. Das ist ein Skandal angesichts der Verbreitung und der gravierenden Auswirkungen dieser alltäglichen Menschenrechtsverletzung. MAREN KOLSHORN, Göttingen

Ein feiger Weg

■ betr.: „Zeit zum Trauern“, taz vom 12. 11. 09

Ich finde es, auf gut Deutsch, unter aller Sau, dass niemand darauf achtet, dass Robert Enke mit seiner Selbsttötung einen höchst feigen Weg gewählt hat. Er lässt seine Frau, die schließlich auch schwere Schicksalsschläge erlitten hat, einfach zurück. Nein, das ist noch untertrieben, er macht ihr das Leben doch damit nur schwer! Und warum bitte adoptiert man ein Kind? Weil man dem Kind Eltern geben will. Aber wie wird es aufwachsen? Es erlebt die Mutter am Anfang des Lebens in einer Trauerphase. Und was ist, wenn es später von alldem erfährt? Das wird Spuren hinterlassen. Von dem Lokführer mal ganz zu schweigen. Ein Profifußballer hat eine Vorbildfunktion. Auch wenn Depression im Fußball als Tabu gilt, er hätte es brechen sollen, das wäre auch im Sinne des Teams gewesen, denn eine Depression ist fast nie richtig einzuschätzen. Im Nachhinein macht sich das Umfeld nur zu Unrecht Vorwürfe. Man sollte ihn nicht als alten Fußballhelden verehren. Vielmehr hat er gezeigt, wie man es nicht machen sollte. Name ist der Redaktion bekannt

Kranke „Normalität“

■ betr.: „Zeit zum Trauern“, taz vom 12. 11. 09

Durch die Absage des Länderspiels zwischen Deutschland und Chile vonseiten des DFB hat an dieser Stelle endlich mal die Menschlichkeit über den sonstigen Trott des Geschehens gesiegt. Denn genau dieser Trott, die eingeforderte Normalität und der damit verbundene Druck sind doch die Ursache für Robert Enkes Versagensängste und die damit einhergehende Depression gewesen. Enkes Freitod ist somit ein Mahnmal in Richtung der Verantwortlichen und der Betreibenden, was aus einer sportlichen Betätigung geworden ist.

Wo der Spaß, die Freude am Sport am Anfang standen, steht heute ein ungeheurer Druck, bei dem zu oft das Ursprüngliche auf der Strecke bleibt. Dies betrifft freilich nicht nur den Sport, sondern unsere ganze Gesellschaft. Mobbing, Leistungsdruck, Versagensängste sind doch längst zu einer kranken „Normalität“ in unserem Leben geworden. Die Folgen davon, und das ist das Paradoxe, kosten „die Wirtschaft“ jedes Jahr Millionen. Würde man zu mehr Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Freude am Tun zurückfinden, wäre allen gedient und die Menschen könnten morgens auf dem Weg zu ihren Aufgaben (bewusst nicht Job) wieder lachen, weil sie etwas wie Freude empfinden könnten. CHRISTOPH WALTER, München

Ungerechtfertigter Verriss

■ betr.: „Für eine Handvoll Pointen“, taz vom 12. 11. 09

Sven von Reden schreibt zu Michael Moores neuem Film: „Eine stringente Argumentation liefert ‚Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte‘ nicht, geschweige denn eine wirkliche Analyse der gegenwärtigen kapitalistischen Verhältnisse. Letztlich bleibt er anekdotisch.“ Wie soll Moore das auf Spielfilmlänge bewältigen? Im Übrigen: Moore ist mit seinem Film analytischer als viele Wirtschaftsredakteure deutscher Presseorgane. Moore benennt wenigstens das Wall-Street-Kartell, das Obama finanziert hat, während die deutsche Medienlandschaft sich mit Obama-Kritik und einer schonungslosen Analyse der skandalösen Bail-outs („systemrelevante“ Banken) in den USA und in Deutschland eher zurückhält. Menschelei, mangelnde Glaubwürdigkeit, falsche Methoden, fehlende Analyse, Personenkult, Herr von Reden scheut kein noch so abgedroschenes Argument, um Michael Moores Arbeit zu verreißen. Warum sollte Moore den Begriff Sozialismus verwenden? Denken Sie, er würde damit den „Querschnitt der Bevölkerung“ in den USA erreichen, wie Sie es fordern? Der Wallraff-Vergleich ist genauso unpassend, wie Sasha Baron Cohen als Alternative vorzuschlagen. Dieser macht leider keine Filme über die kriminellen Methoden der Verantwortlichen in Finanzindustrie und Politik. BORIS SCHLENSKER, Hamburg