Altbauten, Cafés, internationales Publikum, eben Flair: Solche angesagten Kieze wie der Graefekiez sind begehrt bei Mietern – und kleinen Investoren wie großen Wohnungskonzernen Foto: Andreas Muhs/Ostkreuz

Die Angst vor dem Knall

Boom Nicht nur Mieten steigen kräftig in Berlin: Die Kaufpreise für Wohnungen explodieren noch viel stärker. Ein Anzeichen für eine Immobilienblase, warnen Experten. Aber gibt es die wirklich? Und was bedeutet es für Mieter, wenn die Blase platzt?

Zur privaten Altersvorsorge: Gabriel Ahlfeldt kaufte 2011 mehrere Wohnungen in Neukölln Foto: Julia Baier

Von Malene Gürgen

Gabriel Ahlfeldt sitzt in einem portugiesischen Café in der Graefestraße in Kreuzberg und rührt in seinem Milchkaffee. Er mag das Café, und er mag diesen Kiez: Altbauten, internationales Publikum, der Landwehrkanal um die Ecke.

Solche Kieze machen den Reiz von Berlin aus, findet Ahlfeldt, der an der Freien Universität studiert hat und seit 2013 als Associate Professor für Stadtökonomik an der London School of Economics lehrt. Das fand er schon 2011, deswegen kaufte er damals mehrere Wohnungen gleich um die Ecke, im nördlichen Zipfel Neuköllns. Wie viele genau, möchte er nicht sagen, es seien „einige schöne kleine Objekte, die dem Kiez guttun“. Zur privaten Altersvorsorge eben.

Seine Freunde hätten ihn damals belächelt, sagt Ahlfeldt. Dabei habe man kein „internationaler Topökonom“ sein müssen, um schon damals zu erkennen, „dass diese Lage sich gut entwickeln würde“. Gut entwickeln, das bedeutet für Ahlfeldt, dass sich seine Wohnungskäufe rechnen werden, wozu auch gehört, dass die Mieten steigen. Wobei er nicht „steigen“ sagt, sondern „normalisieren“.

Ahlfeldt hat also aus seiner Sicht alles richtig gemacht. Die Entwicklungen auf dem Berliner Miet- und ­Immobilienmarkt machen ihm dennoch Sorgen. Denn die Preise für Eigentumswohnungen steigen in ungeahnte Höhen – gleichzeitig versucht die Politik, den Anstieg der Mieten zu begrenzen.

Laut Ahlfeldt eine Entwicklung, die nicht gut gehen kann: Die kleinen Investoren würden von den Regelungen stärker getroffen als die großen Wohnungskonzerne, denen damit mehr und mehr das Feld überlassen werde. Das wiederum verschlechtere die Situation der Mieter, da die großen Firmen kein Interesse hätten an einem langfristig guten Verhältnis zu ihren Mietern, wie es Ahlfeldt „schon aus sozialen Gründen“ wichtig sei.

Die Preise für Wohneigentum steigen momentan stark an. Eigentumswohnungen verteuerten sich 2016 gegenüber 2015 im Schnitt um 7 Prozent, die Preise für Wohn- und Geschäftshäuser stiegen um durchschnittlich 20 Prozent. 2015 hatte die Preissteigerung für Eigentumswohnungen gegenüber dem Vorjahr bereits bei 15 Prozent gelegen.

Der Quadratmeter Wohnraum kostete damit durchschnittlich 2.430 Euro. Mit einem Qua­dratmeterpreis von 3.785 Euro hat Friedrichshain-Kreuzberg im letzten Jahr Mitte als teuersten Bezirk abgelöst. Eine Wohnung mit durchschnittlich 86 Quadratmetern kostet hier das 7,7fache des durchschnittlichen Jahres­nettoeinkommens im Bezirk.

Der Preisanstieg fällt unterschiedlich aus: Bei den Spitzenreitern Neukölln und Tempelhof-Schöneberg betrug die Steigerung rund 16 Prozent, in Marzahn-Hellersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg 12 Prozent, in Mitte durchschnittlich 5,9 und in Lichtenberg 2,6 Prozent. (mgu)

Die Schere wird größer

Fakt ist: Die Preise für Eigentumswohnungen in Berlin explodieren, wer heute eine Wohnung kauft, muss dafür durchschnittlich über 70 Prozent mehr hinlegen als noch vor fünf Jahren. Für die durchschnittlich verdienende Berlinerin ist eine Eigentumswohnung dadurch immer weniger bezahlbar. Doch nicht nur zwischen der Entwicklung der Gehälter und der der Wohnungskaufpreise tut sich eine immer größere Lücke auf: Obwohl die Mieten bekanntlich ebenfalls rasant steigen, kommen sie mit den Preisentwicklungen nicht mit – auch hier wird die Schere also immer größer (s. Grafik ganz rechts).

Seit einigen Monaten sorgen diese Entwicklungen für Aufregung. Am Berliner Immobilienmarkt drohe wie auch in anderen deutschen Großstädten eine Preisblase, warnten Experten der Commerzbank schon im letzten August. Im November legte die Bundesbank mit einer ähnlichen Einschätzung nach.

Im Februar äußerte dann die Immobilienwirtschaft selbst große Bedenken: Im Frühjahrsgutachten des Zentralen Immobilienausschusses (ZIA) heißt es, in allen sieben größten deutschen Städten sei die Preisübertreibung – also die Lücke zwischen Kaufpreis- und Mietenentwicklung –, mittlerweile besorgniserregend. Insbesondere in München und Berlin stünden die „derzeit geforderten Kaufpreise in keiner sinnvollen Relation mehr zu den Rahmenbedingungen“.

Diese Preise entstünden, weil damit gerechnet werde, dass die Mieten im selben hohen Tempo wie bisher weitersteigen würden. Aber, so die Verfasser des Gutachtens: Gerade in Berlin und München, vielleicht auch in Hamburg, sei „nicht mit weiter steigenden Neuvertragsmieten zu rechnen“. In Hamburg und Frankfurt sei deswegen möglicherweise, in München wahrscheinlich und in Berlin sicherlich mit einem „Trendbruch bei den Kaufpreisen“ zu rechnen.

„Für Berlin gilt: The party is over“, ließ sich einer der Autoren des Gutachtens zitieren.

Angst vor steigenden Zinsen

Immobilienblase – das weckt Assoziationen zu den USA, wo der Zusammenbruch des kreditgestützten Immobilienmarkts eine weltweite Finanzkrise auslöste. Oder an Spanien, wo bis heute riesige halbfertige Geistersiedlungen von einem vergangenen Bauboom zeugen, der auf seinem Höhepunkt in sich zusammenbrach. Ein Überangebot von Neubauwohnungen, in denen niemand mehr wohnen will – ist das nicht das Gegenteil der aktuellen Situation in Berlin, wo die Wohnungen immer knapper werden?

Schon, sagt Reiner Braun vom Institut Empirica, das mit seinem jährlich erstellten Immobilienblasenindex ebenfalls die Diskussion über eine mögliche Blasenbildung befeuert. Weder gebe es in Berlin ein Überangebot an Wohnungen noch hätten die Banken ihre Regelungen für die Kreditvergabe unangemessen gelockert – zwei wichtige Indikatoren für eine Blase seien hier also nicht gegeben.

Andere hingegen schon, weshalb Empirica für Berlin mittlerweile dennoch nicht mehr nur von einer „mäßigen“, sondern einer „eher hohen Blasengefahr“ spricht. Die seit 2014 immer stärker werdende Entkopplung von Mieten und Kaufpreisen ist so ein Indikator: Um den Kauf einer Eigentumswohnung zu refinanzieren, werden immer mehr Jahresmieten benötigt (siehe Grafik oben). Momentan sei das für die meisten Eigentümer noch kein Problem: „Angesichts der aktuellen Niedrigzinspolitik sind die meisten Investoren schon froh, wenn sie ihr Kapital erhalten können. Selbst eigentlich geringe Renditen um die 2 Prozent werden so zu einer guten Option“, sagt Braun. Die niedrigen Zinsen machen den Immobilienmarkt zu einer attraktiven Anlagemöglichkeit, entsprechend hoch sind Nachfrage und Preise.

Das Problem: Auch wenn den Zeitpunkt niemand voraussagen kann – dass die Zinsen irgendwann wieder steigen werden, sei „so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagt Braun. Dann aber würde es für viele Immobilienbesitzer schwierig: Die Nachfrage auf den Immobilienmarkt ginge zurück, die Preise könnten einbrechen.

Von einer Immobilienblase spricht man, wenn es in einem Teilsegment des Immobilienmarkts zu einer deutlichen Überbewertung kommt, Immobilien also weit über ihrem Wert gehandelt werden. Der Wert einer Immobilie bemisst sich an den damit erzielbaren Einnahmen. Wenn also die Kaufpreise viel schneller steigen als die Mieten und zur Refinanzierung des Kaufs immer mehr Jahresmieteinnahmen und damit eine immer längere Zeit benötigt wird, kann das ein Anzeichen für eine Blasenbildung sein.

Für das Platzen einer Blase,also das plötzliche Sinken der Preise, kann es mehrere Gründe geben: Die Nachfrage kann plötzlich sinken, weil potenzielle Käufer mit fallenden Preisen rechnen, weil Banken ihre Regeln für die Kreditvergabe verschärfen oder weil steigende Zinsen andere Anlageoptionen wieder attraktiver machen; das Angebot kann plötzlich steigen, weil schnell sehr viel ­gebaut wird oder weil Eigentümer infolge der Angst vor Preisverfall ihren Besitz schnell loswerden wollen. (mgu)

Umstrittenes Wachstum

Dazu kommt: Dass Berlin wirklich so stark wächst, wie aktuelle Prognosen voraussagen, bezweifelt Braun. Denn die Zahl der Zu- und die der Wegzüge aus dem Umland und anderen Teilen Deutschlands hielten sich momentan ungefähr die Waage; das Wachstum der Stadt liege vor allem an der Zuwanderung aus dem Ausland. Die aber werde jetzt deutlich abebben: Die Migrationswelle aus den krisengeplagten Ländern Südeuropas sei schon seit ein paar Jahren so gut wie abgeflaut und mit dem jüngsten Wachstumsschub, den Flüchtlingen, sei es ebenso vorbei. Die Grenzen sind schließlich dicht. Gleichzeitig läuft das ambitionierte aktuelle Neubauprogramm an – auch dadurch könne sich das Verhältnis von Angebot und Nachfolge also bald schon verändern. Um bis zu einem Drittel könnten die Preise einbrechen, prognostiziert Braun.

Klar, dass das viele Immobilienmakler nicht gerne hören, schließlich könnten solche Einschätzungen Käufer abhalten. Entsprechend stark fällt also die Gegenreaktion auf die aktuellen Blasenwarnungen aus, die sich vor allem in Branchenmedien abspielt: „In der Hauptstadt stehen die Zeichen weiter auf Wachstum“, kommentiert Alexander Harnisch, Geschäftsführer des Immobilienkonzerns Diamona & Harnisch, auf businessinsider.de die Diskussion. Als „völlig falsch“ bezeichnet Marc Weinstock, Chef der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft, die Blasenprognose in dem Magazin ­Immocompact.

Auch die Investionsbank Berlin Brandenburg (IBB) veröffentlichte in der letzten Woche eine Einschätzung, wonach es keine Anzeichen für einen Rückgang der Immobilienpreise gebe. Doch selbst die IBB kommt nicht ganz ohne Bedenken aus: In „einigen Segmenten“ würden die Preise über das „aus fundamentaler Sicht gerechtfertigte Niveau hinausschießen“, in „regionalen Teilmärkten“ könne es deswegen durchaus zu Preisblasen kommen.

Gute Aussichten für Mieterinnen? Nicht unbedingt. Schließlich ist wahrscheinlich, dass die Eigentümer versuchen werden, den Druck an die MieterInnen weiterzugeben. „Die Mieten so anzuheben, dass damit die Lücke zur Preisentwicklung geschlossen wird, wird nicht möglich sein“, ist sich Braun zwar sicher. Das allein bedeutet aber noch keine Entlastung: Dass die Mieten mittelfristig wieder sinken, prognostiziert niemand, allenfalls ist von einer Stagnation, eher aber einem verlangsamten Anstieg die Rede.

Dazu kommt, dass sich beim Blick in die einzelnen Bezirke ganz unterschiedliche Bilder bieten: In Lichtenberg etwa sei durch die großen Neubauvorhaben tatsächlich mit einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu rechnen – die Situation in den In-Kiezen werde sich hingegen wohl nicht verändern.

Jetzt geht’s ins Umland

Das sieht auch Gabriel Ahlfeldt so: „Ich gehe davon aus, dass die Mieten hier langfristig auf 15 Euro pro Quadratmeter steigen werden“, sagt er im Café in der Graefestraße mit Blick aus dem Fenster. Dagegen mit Mietenbegrenzung vorzugehen, hält er für falsch. Zwar gehe es nicht darum, den Markt völlig zu deregulieren wie etwa in London. Aber: „Zu versuchen, die Mieten künstlich niedrig zu halten, das kann auf Dauer nicht funktionieren“, sagt Ahlfeldt und nutzt die Gelegenheit, um zu erklären, was alles er an der aktuellen Mietenpolitik falsch findet: Milieuschutz mache es unmöglich, eine Wohnung zu „entwickeln“, sozialer Wohnungsbau sei „paternalistisch“, die Mietpreisbremse ein „Herumdoktorn an Symptomen“.

Der letzte Satz könnte auch von einem Mieteraktivisten stammen – nur meint Ahlfeldt ihn natürlich ganz anders: Statt die Mieten zu begrenzen, müsse „etwas beim Angebot gemacht werden“. Nur so werde sich der Wohnungsmarkt entspannen: „Hochwertiger Neubau, auf die Stadt verteilt, der dann aber auch wirklich hohen Ansprüchen genügen muss, würde den Druck aus den stark nachgefragten Quartieren nehmen.“

Die Folgen des Andrangs auf den Immobilienmarkt werden die BerlinerInnen noch jahrelang spüren – dass die Party im Grunde schon wieder vorbei ist, sieht auch Ahlfeldt so. Es gebe kaum noch Gebiete, in denen es sich für kleinere Investoren lohne, in den Markt einzusteigen, nicht mal in den Randbezirken. „Ich würde empfehlen, nach Tegel zu schauen und nach Tempelhof, wo sie außerhalb des Rings noch gut angebundene Altbauquartiere finden können, in denen noch etwas möglich ist. Aber eigentlich ist Berlin in dieser Hinsicht durch“, sagt er.

Die nächste lohnenswerte Anlage sei allerdings schon in Sicht: „Städte im Umland, die per Regionalexpress gut angebunden sind und einen schönen, gut entwickelten Stadtkern mit Altbaubestand und etwas urbanem Leben haben – dorthin zu schauen, könnte sich jetzt lohnen.“ Vielleicht wird es für Städte wie Werder an der Havel Zeit, über Milieuschutz nachzudenken.