Arbeit für Protestanten

URTEIL Die Kirchen dürfen weiterhin ihr eigenes Arbeitsrecht anwenden, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden – aber unter strengeren Voraussetzungen, sodass auch Ver.di sich als Sieger fühlt

■ Die evangelischen Kirchen und die katholische Kirche in Deutschland gehören mit rund 1,3 Millionen Angestellten zu den größten Arbeitgebern in Deutschland – nach der Metall- und Elektroindustrie, dem öffentlichen Dienst und dem Einzelhandel. Die meisten der Beschäftigten arbeiten als AltenpflegerInnen, KindergärtnerInnen oder JugendarbeiterInnen unter dem Kirchendach. Die evangelische Diakonie beschäftigt rund 450.000 Menschen, die katholische Caritas rund 500.000.

■ Unter dem Dritten Weg werden die besonderen Regeln des kirchlichen Arbeitsrechts verstanden. Die Arbeit in kirchlichen Einrichtungen soll für die Mitarbeiter religiös fundiert sein und sie zu einer „Dienstgemeinschaft“ verbinden. Die Kirchen berufen sich dafür auf das im Grundgesetz anerkannte Selbstbestimmungsrecht. Daraus leiten sie auch ab, die Arbeitsbeziehungen ohne äußeren Einfluss von Gewerkschaften oder das Druckmittel des Streiks zu regeln. (voe)

AUS ERFURT CHRISTIAN RATH

Das Streikverbot an kirchlichen Einrichtungen kann bestehen bleiben. Das entschied gestern das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Grundsatzurteil. Die Aushandlung der Arbeitsbedingungen ohne Arbeitskampf sei vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gedeckt. Die Kirche müsse diesen „Dritten Weg“ nur etwas gewerkschaftsfreundlicher ausgestalten, erklärte Ingrid Schmidt, die BAG-Präsidentin, bei der Urteilsverkündung.

Die Kirchen lehnen traditionell das übliche staatliche Arbeitsrecht ab. Mit dem christlichen Verständnis einer „Dienstgemeinschaft“ sei es nicht zu vereinbaren, durch Streiks Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Stattdessen gilt meist ein sogenannter Dritter Weg. Löhne und Arbeitsbedingungen werden in Kommissionen festgelegt, die paritätisch von Arbeitgebern und Beschäftigten besetzt werden. Kann man sich nicht einigen, wird ein Schlichter bestimmt, dessen Spruch verbindlich ist.

Im Jahr 2009 hatte die Gewerkschaft Ver.di in Bielefeld dennoch zu Warnstreiks in Einrichtungen des Diakonischen Werks aufgerufen. Rechtlich war das zunächst ein Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm entschied, dass Diakonie-Beschäftigte in „verkündungsfernen“ Tätigkeiten, etwa in der Küche oder der Verwaltung, durchaus streiken dürften. Hiergegen ging die Kirche zum BAG in Revision. Der zweite Fall betraf einen Warnstreik der Ärztegewerkschaft Marburger Bund gegen Krankenhäuser der Diakonie in Hamburg, ebenfalls 2009. In Norddeutschland ist die Diakonie zwar ausnahmsweise bereit, direkt mit Gewerkschaften zu verhandeln und Tarifverträge abzuschließen („Zweiter Weg“), aber nur wenn zuvor ausdrücklich auf Streiks verzichtet wird. Diese Vorbedingung lehnte der Marburger Bund ab und rief Ärzte zum Warnstreik. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hatte dagegen keine Einwände; wer Tarifverträge abschließe, müsse auch Streiks zulassen. Auch hiergegen ging die Diakonie in Revision.

Die Gewerkschaften hofften, dass das BAG die streikfreundlichen Urteile von Hamm und Hamburg bestätigt. Dann wäre der Dritte Weg ebenso wie der Zweite Weg vorerst Geschichte gewesen. Doch es kam ganz anders. In der Sache bekam die Kirche nun weitgehend Recht, die Gewerkschaften waren die großen Verlierer des Tages.

Richterin Schmitz betonte, dass man hier zwei Verfassungswerte gegeneinander abwägen müsse. Auf der einen Seite stehe die Freiheit der Gewerkschaften, sich für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten einzusetzen und dafür auch zu streiken, die sogenannte Koalitionsfreiheit. Auf der anderen Seite stehe das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, zu dem auch die Entscheidung gehört, wie sie ihre „tätige Nächstenliebe“ organisieren will.

Das Bundesarbeitsgericht versuchte einen Ausgleich der konkurrierenden Grundrechte von Gewerkschaft und Kirche vorzunehmen. Hierbei kamen die Richter zu dem Schluss, dass das Grundgesetz nicht nur den konflikthaften Arbeitskampf schütze, sondern auch die partnerschaftliche Aushandlung von Arbeitsbedingungen, wie sie die Kirchen für nötig halten. Deshalb hielt das BAG im Ergebnis das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen weiter für zulässig.

Allerdings müssten die Ergebnisse des Dritten Wegs künftig verbindlich sein. Bisher hatten kirchliche Einrichtungen die Wahl zwischen verschiedenen, auf diesem Weg ausgehandelten Vertragswerken. Außerdem konnten sie sich bei finanziellen Schwierigkeiten auch recht leicht davon lossagen. Solange die Kirchen so viele Freiheiten hätten, müssten Gewerkschaften auch streiken können. Nur deshalb wurden die Klagen der Kirchen gegen den konkreten Ver.di-Streikaufruf diesmal abgelehnt. Die Kirchen werden das sicher bald anders organisieren, um den Dritten Weg zu retten.

Natürlich wollen die Gewerkschaften nun das Bundesverfassungsgericht anrufen, um ihr Streikrecht doch noch durchzusetzen. Der Ver.di-Anwalt Henner Wolter hatte in der Verhandlung erklärt: „Verhandlungen ohne Streikrecht sind wie kollektives Betteln.“ Es sei völlig unzumutbar, wenn nur die Verhandlungsposition der Gewerkschaften im Dritten Weg etwas verbessert werde, ohne dass sie Druck durch Arbeitskämpfe machen können. Allerdings muss Ver.di nun auf einen neuen Fall warten. Denn formal hat die Gewerkschaft den gestrigen Prozess ja gewonnen.

(Az.: 1 AZR 179/11)