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Hilfe für Kinderseelen

Notfallpädagogik Gewalt, Krieg und Flucht haben enorme Auswirkungen auf die Psyche. Mitarbeiter der Notfallpädagogik helfen Kindern, damit fertig zu werden

Weitere Informationen zur Notfallpädagogik und zu Möglichkeiten, sie zu unterstützen: www.freunde-waldorf.de/notfallpaedagogik

Die 6. Notfallpädagogische Jahrestagung findet vom 9. bis zum 11. Juni im Parzival-Zentrum in Karlsruhe statt. Interessierte sind willkommen

von Susann Schlemmer

Wie gravierend die Folgen von Krieg und ständiger Bedrohung für Kinder sind, machte jüngst eine Studie der Hilfsorganisation Save the Children nochmals deutlich. Demnach leidet die Mehrheit der Kinder, die den seit sechs Jahren andauernden Bürgerkrieg in Syrien miterleben, an toxischem Stress. Die Folgen sind Ängste, Schlaf- und Sprachstörungen.

Um Kindern und Jugendlichen einen Umgang mit Traumata zu ermöglichen, bietet die Notfallpädagogik geeignete Methoden und Wege. Ins Leben gerufen wurde die Initiative der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. 2006 im Zuge des libanesisch-israelischen Krieges von der Waldorfschule Beirut. Heute ist die Notfallpädagogik weltweit tätig. Neben Akuthilfe nach Naturkatastrophen wie in Haiti und Nepal sowie Langzeitunterstützung in Flüchtlingslagern in Kurdistan-Irak oder Kenia unterstützt die Hilfsorganisation auch die Resozialisierung von ehemaligen Kindersoldaten in Kolumbien und betreut Menschen in Deutschland, die vor Hunger und Krieg geflohen sind.

Der Kern notfallpädagogischer Arbeit ist psychosoziale Stabilisierung und die Aktivierung der Selbstheilungskräfte. „Das Wichtigste ist zunächst, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Kinder und Jugendlichen sowohl physisch als auch psychisch sicher fühlen. Ohne diese Grundsicherheit können traumatische Erfahrungen nur schwer überwunden werden“, erklärt Lukas Mall, Koordinator für Notfallpädagogik. Der Sozialarbeiter und Erlebnispädagoge hat seit 2009 mehr als 25 Einsätze begleitet. Die therapeutische Arbeit findet je nach Einsatzort in Schulen, Flüchtlingslagern oder eigens errichteten Kinderschutzzentren statt.

Künstlerische und spielerische Projekte, Rhythmen und Rituale auf Grundlage der Waldorf- und Erlebnispädagogik sind wesentliche Bestandteile der therapeutischen Arbeit. Die Kinder können kreativ und körperlich aktiv sein, haben eine unbeschwerte Zeit bei Bastel- und Malstunden, gemeinsamem Singenund Heileurythmie-Übungen.Vorgegebene Strukturen wie Morgen- und Abschlusskreis soll ihnen Sicherheit vermitteln und Vertrauen schaffen. Positive Erlebnisse werden traumatischen entgegengesetzt, Stressreaktionen dadurch reduziert.

Studien zeigen, dass Zeit eine wesentliche Rolle bei der Behandlung von Traumata spielt. Wenn sich der damit verbundene psychosomatische Stress zu einem dauerhaften Zustand entwickelt, kann das Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung und das Herz-Kreislaufsystem haben. Je früher die

Aufarbeitung nach einem traumatischen Erlebnis beginnt, desto einfacher und nachhaltiger kann geholfen werden. Bei vielen Kindern ist nach Aussage des Pädagogen schon nach kurzer Zeit eine positive Veränderung bemerkbar: ihre Mimik verändert sich, Hyperaktivität oder Apathie verringern sich. „Die Notfallpädagogik agiert ähnlich wie der Notarzt am Einsatzort, es wird pädagogische erste Hilfe geleistet und damit der Heilungsprozess angeregt“, sagt Mall.

Vor Ort ist die Arbeit in drei Bereiche gegliedert, die von ehrenamtlichen Pädagogen, Kunst-, Musik- und anderen Therapeuten sowie Ärzten mit anthroposophischem Hintergrund unterstützt wird. Zunächst die direkte Arbeit, die eine Stabilisierung der Kinder und Jugendlichen zum Ziel hat. Dann die Weiterbildung lokaler Pädagogen und Helfer in Psychotraumatologie und Notfallpädagogik. Drittens die Arbeit mit den Eltern. Häufig selbst traumatisiert, werden sie für Anzeichen eines möglichen Traumas wie plötzliche Angst, Schlafstörungen und Introvertiertheit ihrer Kinder sensibilisiert. Den Eltern wird erklärt, dass ihre „Kinder normal auf ein unnormales Ereignis reagieren“, so Mall.

Trotz guter Zusammenarbeit mit zahlreichen internationalen Hilfs- und Regierungsorganisationen steht die Arbeit des Vereins, der auch Mitglied des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist, an den Einsatzorten immer wieder vor Herausforderungen. Schwierig ist die Arbeit insbesondere nach einer akuten Katastrophe. Wenn etwa die Situation noch schwer überschaubar ist, viele körperliche Verletzungen vorliegen, die Versorgungs- und Sicherheitslage angespannt ist oder auch klimatische Bedingungen die Arbeit erschweren. Dazu kommt, dass bei mehreren Krisenregionen weltweit häufig schnell entschieden werden muss, was finanziert werden und wo zunächst nicht geholfen werden kann. Es ist ein Anliegen der Initiative, auch an Orten zu helfen, die weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen, wie etwa im Südsudan.