Das letzte Fest

AKTIONSLESUNG Von der Notwendigkeit schmieriger halblanger schwarzer Haare und auch dem Knall einer Pistole. Im Kater Holzig stellte Clubbesitzer und Autor Tino Hanekamp seinen Clubbesitzerroman „So was von da“ vor

Bei all dem Lebens- chaos findet sich zwischendurch auch Zeit für die existenziellen Fragen: „Wer bin ich? Was will ich? Und was gibt’s da zu verwirklichen?“

VON CATARINA VON WEDEMEYER

Ein Clubbesitzer braucht unbedingt „schmierige halblange schwarze Haare und einen Anzug“. Tino Hanekamp, geboren 1979, erfüllt diese Bedingungen. Der Betreiber des Hamburger Clubs Uebel und Gefährlich ist nebenberuflich Autor, er hätte seine Haare also auch etwas liebevoller als Schriftstellerfrisur verkaufen können. Sein Club gewinnt einen Preis nach dem anderen, und sein im vergangenen Jahr erschienener Roman „So was von da“ ist nicht minder erfolgreich. Die letzten drei Monate lebte Hanekamp mit einem Stipendium des Literarischen Colloquiums Berlin am Wannsee, mit der „Aktionslesung“ am Freitag im Kater Holzig verabschiedete er sich wieder aus Berlin.

Aktionslesung klingt schlimmer, als das ist, was dann wirklich passiert im Kater: Erst kommen Filmaufnahmen von knutschenden Seemännern und anderen feiernden Gestalten. Dann kommt Hanekamp. Er setzt sich unter den turbantragenden Bühnenengel und stellt ein Schild auf, auf dem steht: „Ich kann es nicht.“ Schließlich zückt er eine Pistole. Es knallt. Die Lesung kann beginnen.

Seine Story passt zur Location: Der Club von Oskar Wrobel, den an Sven Regeners Herrn Lehmann erinnernden Helden aus „So was von da“, hat ein ähnliches Schicksal wie der Kater und übrigens auch wie die Weltbühne, dem ersten Club von Hanekamp. In Hamburg läuft so etwas genau so ab wie in Berlin. Die Momos verzaubern das Brachland in eine Märchenlandschaft, in einen Ort, an dem nachts jeder denkt, er sei „in der Mitte des Universums oder auf MDMA“. Dann kommen die grauen Männer und beschließen, Lofts oder Büros zu bauen, und zwar genau dahin, wo es wehtut.

Die Katermacher haben inzwischen eine Lösung gefunden, wenn es im nächsten Jahr wieder zurück auf die andere Seite der Spree geht. Bei Oskar ist das Happy End lange nicht so sicher. „Ich befürchte, ich bin wach“, beginnt der Roman, und Oskar würde seinen „gummiartigen Rachenrotz“ am liebsten irgendwo hinspucken, „aber heute wird geschluckt“.

Es ist die letzte Nacht des Jahres und die letzte Party in seinem Club, danach wird das Gebäude abgerissen. 50.000 Euro Schulden haben die Romanhelden, außerdem wird Oskar von Kiezkalle und seinen Gefolgsleuten erpresst. Und dann gibt es noch Mathilda. „Aber Krieg ist schlimmer.“

Der Plan ist, in dieser Silvesternacht so viel Geld zu verdienen, dass Oskar und sein Geschäftspartner damit sämtliche Schulden und Kiezdeals bezahlen können. Sie haben an alles gedacht, sogar an Fummellicht für die Fummelboxen. Es gibt eine treue Freundin, die eiswürfellutschende Nina, und Oskars besten Freund Andreas „Rocky“ Rockmann. Dessen Vater nennen alle den toten Elvis, weil er so aussieht, und er sieht so aus, weil er selbst einmal ein Rockstar war. Die Freundschaften sind das Einzige, was in Oskars Leben richtig funktioniert, der Rest ist mehr oder weniger lebensgefährlich.

Als Kiezkalle dem Helden einen Finger brechen will, erleben die etwa 170 Besucher im Kater seine Todesangst hautnah mit, die Schüsse tun ein Übriges. „Fies, ne?“, fragt Hanekamp das schockzuckende Publikum fröhlich. Er hatte angekündigt, dass er mit diversen Hilfsutensilien arbeiten würde, unter anderem mit Menschen. Die Anwesenden sind vor allem dann gefordert, als der Autor nach der Pause allen einen Schnaps ausgibt. Während seine Zuhörer „sich mal so richtich einen reinknetern“ sollen, liest er weiter.

Erst kommt die Ballade von Oskar und Mathilda, die erst auf Oskar aufmerksam wurde, als dieser sich aus Versehen in Brand setzte. Aber kurz bevor es romantisch hätte werden können, bricht Hanekamp mit einem lakonischen „und so geht’s dann weiter, bis der Leser heult“ ab. Dann liest er vor, „wie man sich an einen Musikclub verschwendet“, und erklärt nebenbei noch die Regeln des kriminellen Geschäftemachens.

Bei all dem Lebenschaos findet Oskar zwischendurch auch Zeit für die existenziellen Fragen: „Wer bin ich? Was will ich? Und was gibt’s da zu verwirklichen?“ Um die menschliche Würde auch bei prekären Unternehmungen, wie beispielsweise Klogängen, zu bewahren, liest er Marc Aurel. Als ihm, also Oskar, sein Handy in das soeben eigenhändig vollgekotzte Klo fällt, kann auch die Philosophie nicht mehr helfen. Aber was ist schon menschliche Würde, jetzt geht es wirklich um Leben und Tod, denn am Handy war Kiezkalle, der fingerbrechende Exzuhälter.

Damit verlässt Tino Hanekamp die Bühne, er muss zurück nach Hamburg. Am Schauspielhaus laufen schon die Proben für „So was von da“ als Theaterstück. Als Nächstes kommt wahrscheinlich die Verfilmung, wer weiß. „Ich kann es nicht“? Hanekamp kann alles.