Auch in Italien verhindert die Bürokratie die bessere Art des Schafe-Schlachtens
: Menschliche Interessen sind mehr Wert als die des Wolfes

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VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Betrunkener Mund tut Wahrheit kund. Und macht all die Worte wett, die im Alltag fehlen. Gesagt wird, was gesagt werden muss, nicht unbedingt der richtigen Person, aber immerhin. Wie soll das auch gehen? Vor allem, wenn man mit einem Umbrier gemeinsam die Schafe macht, dessen Dialekt auch in guten Zeiten lediglich aus einzelnen, verschluckten Silben zu bestehen scheint. Und in schlechten Zeiten auch noch so gemeint ist.

„Und wie macht ihr das so? Sagt er dir Bescheid, wenn er morgens zum Stall aufbricht?“ Zigarettenrauch hat sich zu den Weinschwaden gesellt, nach zehn Uhr darf in der Freitagsbar der Kommune geraucht werden. „Früher mal. Jetzt nicht mehr.“

Kann denn die Kommunikation schlechter sein, zwischen Zweien, die sich die Verantwortung für hundert Tiere und deren Milch teilen? „Ich weiß auch nie, wann er überhaupt kommt. Oder wann ich nicht kommen muss.“ Ich schiebe die Pläne, mal mitzuhelfen, was zu lernen, auf unbestimmte Zeit auf, und werde zum sympathischen weiblichen Ohr.

„Noch eine Weißweinschorle.“ Dass das Urgestein von Umbrier, verschroben und begnadet, ein Händchen für Garten, Küche, Tiere, Bäume und Bauen und keines für Kommunikation mit Frauen hat, wundert mich nicht. Junge Männer hängen an den Lippen des Schäfers und imitieren seine Laute und Gesten. Die steinige Erde treibt unter seinen Händen Frucht und zu Ostern gehen Lämmer sanft und leise in seinen Armen in den Tod.

„Ich habe noch nie jemanden besser schlachten sehen als ihn“, sagt meine Freundin. Und kommt auf die 80 anderen Lämmer zu sprechen, die dann doch jährlich auf den Laster geladen werden. Der Käse den ich vorhin noch guten Gewissens aß, färbt sich rot. Einmal sei sie mitgefahren, zur lokalen Schlachterei im Nachbarortörtchen. Mehr als wie die Tiere vom Lastwagen getrieben wurden habe sie sich gar nicht mit ansehen können.

Das sei auch der Grund gewesen, warum sie damals die Schafe an den Nagel gehängt habe. Sie aufzuziehen, zu verhätscheln, ihnen Namen zu geben und sie in die Welt zu begleiten und sie dann auf den Lastwagen zu packen, das habe sie als Verrat empfunden. Sie steckt sich eine Zigarette an. „Aber so ist das nun mal, wenn man Tiere professionell hält.“

Mein angegoogeltes Wissen, dass man Schafe doch auch durchmelken könne (also sie nicht jährlich Lämmer produzieren zu lassen, um deren Milch zu nutzen) wirkt so schrecklich angegoogelt, und selbst die handfestere, elendigere Alternative, doch alle Kräfte daran zu setzen, auf dem Kommunengelände einen Schlachtraum einzurichten und eine Tiefkühltruhe, wirkt träumerisch.

„Ist auch gar nicht erlaubt, das Heimschlachten.“ Und die Zigarettenschwaden werden zu dunklen Wolken, soll denn tatsächlich Italiens Bürokratie diese, ja doch bessere Art des Schlachtens unmöglich machen?

Heute ist dann der Wolf gekommen. Er hat unter der Nase der Hunde und direkt vorm Gemüsegarten ein Schaf getötet und ihm das Blut ausgesaugt. Meine Freundin ist aufgelöst. Nun fängt das Theater mit den Wölfen wieder an.

Was daran denn so schlimm ist, frage ich mich im Lichte meiner neueren Erkenntnisse. Dass das Schaf nicht menschlichen Interessen geopfert wurde, antworte ich mir.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle.