Die USA haben an Glanz eingebüßt

DIPLOMATIE In ihren Zeitungen lesen Chinesen die Botschaft: Die Zeiten, in denen Peking zu Washington aufschauen musste, sind vorbei

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Im McDonald’s-Restaurant des Pekinger Zhongyou-Kaufhauses sind alle Tische besetzt: Mütter füttern ihre Kinder mit Coca-Cola und Hühnchen-Burger, Schüler beugen sich über ihre Schreibhefte, Teenager starren auf ihre Handys und naschen ein paar Pommes. Die Kassiererin reagiert verblüfft auf die Frage, wie es ihr bei einer amerikanischen Firma gefalle: „Wieso amerikanisch?“, antwortet sie: „Das hier ist ein ganz normales chinesisches Restaurant.“

Wenn US-Präsident Barack Obama am Montag zum ersten Mal in seinem Leben nach Schanghai und Peking reist, trifft er auf ein Land, dem Amerika vertraut und fremd zugleich erscheint. Als beide Staaten vor drei Jahrzehnten diplomatische Beziehungen aufnahmen und die Chinesen Fernsehbilder aus dem reichen Amerika mit seinen Supermärkten, dicken Privatautos und Vorortvillen sahen, waren viele von ihnen überzeugt: Nie im Leben würde es ihnen gelingen, die große Kluft zwischen beiden Ländern zu überwinden.

Heute gehören die „Maidanglao“-Restaurants, wie die McDonald’s auf Chinesisch heißen, so selbstverständlich zum Alltag chinesischer Städter wie Jeans, Hollywood-Filme, die TV-Übertragungen der NBA-Basketball-Liga. Wer es sich leisten kann, schickt sein Kind auf die Eliteunis in Boston oder Stanford. Umgekehrt strömen immer mehr junge Amerikaner in die chinesischen Metropolen. China verspricht Jobs. Seit Beginn der Finanzkrise ist klar, dass sich das Verhältnis der beiden Staaten grundlegend gewandelt hat.

Vizeaußenminister He Yafei sprach kürzlich selbstbewusst von einem „neuen historischen Anfangspunkt“ in den Beziehungen zwischen den USA und China. Peking ist der größte Kreditgeber Washingtons, mit dem Kauf von amerikanischen Schatzbriefen im Wert von mittlerweile rund 768 Milliarden US-Dollar helfen sie Obama, die Staatsausgaben zu finanzieren.

Vor allem über die Wirtschaft wollen die Gastgeber sprechen: Die Amerikaner müssten ihre Märkte weiter für chinesische Produkte öffnen und aufhören, „protektionistische Maßnahmen“ zu ergreifen, so wie kürzlich gegen die Einfuhr chinesischer Autoreifen. „Seine persönliche Glaubwürdigkeit kann er bei den Chinesen nur aufbauen, wenn er das Versprechen ‚Nein zum Protektionismus‘ hält, das er wiederholt gegeben hat“, schrieb die Global Times. Peking will zudem Zusicherungen von Obama, dass die vielen Milliarden in Amerika sicher sind. Wenn der Dollar weiter an Wert verliert, schrumpft das chinesische Vermögen.

Auch auf politischer Ebene wollen die Gastgeber von Obama hören, was jeder Staatsgast bekräftigen muss: dass Tibet und Taiwan zu China gehören. Dies dürfte Obama zumindest im Fall Tibet nicht zu schwerfallen, es ist seit Jahrzehnten Teil der amerikanischen Regierungspolitik.

Als Vertreter der größten Umweltsünder der Welt stehen Obama und Staats- und Parteichef Hu Jintao vor der Frage, ob sie eine Übereinkunft zum Klimaschutz finden, die sie im eigenen Land auch durchsetzen können. Die USA als Industriestaat müsse mit gutem Beispiel vorangehen, lautet die Standardformel in Peking. Und: China sei keineswegs eine Supermacht, sondern ein Entwicklungsland mit großen sozialen Probleme und könne es sich daher nicht leisten, zu viel zu versprechen.

Die Zeiten, in denen amerikanische Präsidenten relativ sicher sein konnten, dass Pekings Politiker ihnen bei China-Besuchen Zugeständnisse machen würden, scheinen vorbei. Zeichen der Zeit: Bis kurz vor Obamas Eintreffen diskutieren Diplomaten beider Seiten hinter den Kulissen darüber, welche chinesischen Gäste er in Schanghai und Peking empfangen darf. Die Gastgeber wollen sicherstellen, dass keine Dissidenten das harmonische Bild stören.

Die USA sind immer noch das mächtigste Land der Welt, haben aber in den Augen vieler Chinesen einiges von ihrem Glanz und Schwung verloren. Das jedenfalls glaubt der 24-jährige Bautechniker Li, der im Xinhua-Buchladen ein paar hundert Meter neben dem MacDonald’s-Restaurant vor einem Regal mit Bänden von und über Obama steht. Er entscheidet sich, keines der Bücher zu kaufen: „Obama ist schwach“, sagt er. „Das liegt daran, dass es mit den USA bergab geht und mit uns bergauf.“