Einzelhandel übt den Protest

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di versucht, den Arbeitskampf im Einzelhandel auszuweiten. Die Supermärkte zweier Ketten wurden gestern bestreikt. Doch selbst dort ging der Verkauf weiter: Nur ein Drittel der Mitarbeiter folgte dem Aufruf

„Solche Streiks im Einzelhandel sollte es öfter geben“, sagt eine Passantin

Von Veronika de Haas

Schon von weitem schallt laut „We will rock you“ – dieser olle Schunkel-Rock-Song der Gruppe Queen – über die Straße. Eine Menschenkolonne in rot-weißen Ver.di-Kitteln schiebt sich langsam über die Gertraudenstraße Richtung Spittelmarkt. Die wenigen Passanten bleiben neugierig stehen, entnervte Autofahrer hupen. Die Demonstranten, Mitarbeiter verschiedener „Real“- und „Extra“-Supermärkte, stimmen derweil ein lautes Pfeifkonzert gegen angedrohte Lohneinbußen und Lockerungen der Tarifverträge an.

Die Gewerkschaft Ver.di hatte die Angestellten von Berliner und Brandenburger Supermärkten der beiden Ketten gestern aufgerufen, mehrere Märkte zu bestreiken. Mit teilweisem Erfolg: Die Forderungen der Protestierenden tönen bei der Abschlusskundgebung über den Spittelmarkt: „Einkommen zum Auskommen“, ruft Günther Waschkuhn, stellvertretender Landesbezirksleiter der Gewerkschaft, und fügt hinzu: „Wir verteidigen unsere Tarifverträge!“ Sein Lohn: Ohrenbetäubender Lärm aus 150 kleinen weißen Ver.di-Pfeifen.

Die Verteidigung der Tarifverträge durch die Gewerkschaft gestaltet sich derzeit schwierig, denn zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herrscht Funkstille. Anfang September brachen die Arbeitgeber die Tarifverhandlungen ab. Der Grund: Bereits im Vorfeld hatten sie gefordert, dass die Beschäftigten Öffnungsklauseln im Tarifvertrag akzeptieren sollten. Doch die entschieden sich gegen eine Annahme der Bedingungen. Nun wollen sie mit ihrem Protest die Arbeitgeber zurück an den Verhandlungstisch zwingen, um über die nächste Gehaltsrunde zu sprechen.

Man werde auf keine Vorbedingungen eingehen, sagt Waschkuhn. Die geplanten Kürzungen von Zuschlägen und Einstiegsgehältern und Sonderzahlungen seien inakzeptabel. „Der Wegfall der Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld brächte einen Vollzeitangestellten um fast ein ganzes Monatsgehalt“, rechnet Verhandlungsführer Waschkuhn vor. Der Protest sei „ein Signal in Richtung Arbeitgeber“.

So einschneidend wie geplant konnte die Aktion allerdings nicht wirken. Mit 150 Streikenden blieb nur etwa ein Drittel der Belegschaften der betroffenen neun Filialen der Arbeit fern; der Verkauf konnte überall weitergehen. Falls die Arbeitgeberverbände bis 10. Oktober nicht reagierten, würden die Streiks ausgeweitet werden, kündigt Waschkuhn an. Dann würde man empfindlichere Stellen, etwa die Lager der Supermärkte, treffen und sicher auch mehr Betroffene mobilisieren können. Waschkuhn gibt sich siegesgewiss: Die Arbeitgeber müssten nach den Ergebnissen der Bundestagswahl wieder „auf den Teppich kommen“. Es gebe keine Mehrheit für deren Forderungen.

Die Stimmung unter den Streikenden ist ebenfalls überwiegend optimistisch. Ein Extra-Mitarbeiter präsentiert sich ganz auf Gewerkschaftslinie, als er sagt, dass „wir mit den Aktionen die Arbeitgeber sicher zurück an den Verhandlungstisch bekommen“.

Verhaltener äußert sich eine Verkäuferin des Real-Marktes am Borsigturm. Sie hofft, dass mithilfe des Streiks die „Tarifverträge bestehen bleiben“ und dass es dann vielleicht auch irgendwann wieder einmal „mehr Geld“ gibt.

Unterstützung für die Protestler gibt es von Passanten. „Solche Streiks sollte es öfter geben“, sagt eine Angestellte der nahe gelegenen Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport. „Aber dann müssen auch viel mehr Leute kommen.“