Chinas „schwarze“ Gefängnisse

HONGKONG taz | Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch klagt in einem am Donnerstag in Hongkong veröffentlichen Bericht die Praxis chinesischer Lokal- und Provinzbehörden an, lästige Bittsteller wegzusperren: in „schwarzen“ Gefängnissen. Damit solle verhindert werden, dass diese Menschen bei höheren Regierungsstellen Beschwerde einlegen. Die Petitionen, mit denen die Bevölkerung gegen erfahrenes Unrecht protestieren kann, könnten die Karrierechancen der betroffenen Kader beeinträchtigen.

Der Bericht „Ein Gang durch die Hölle“ listet Beispiele von Bittstellern auf, die von Beamten oder ihren Handlangern entführt und über Wochen bis Monate in Hotels, Heimen, psychiatrischen Anstalten oder Privathäusern eingesperrt wurden. Dabei kommt es laut Human Rights Watch, die ihren Bericht auf Interviews mit 38 Opfern stützt, zu Misshandlung, Erpressung, Diebstahl. Den Betroffenen würden medizinische Versorgung und ausreichende Ernährung vorenthalten.

Die meisten der oft temporären und unhygienischen Gefängnisse, für ihre Betreiber eine lukrative Einkommensquelle, befinden sich in Provinzhauptstädten oder in Peking. Dort soll es 10 bis 50 „schwarze“ Gefängnisse geben. Pro Jahr würden so etwa zehntausend Menschen eingesperrt, zitiert Human Rights Watch die Schätzung eines chinesischen Juristen.

„Die Existenz von ‚schwarzen‘ Gefängnissen im Zentrum von Peking spottet der Rhetorik der chinesischen Regierung von der Verbesserung der Menschenrechte und der Herrschaft des Rechts“, sagte die Asiendirektorin von Human Rights Watch, Sophie Richardson. Zwar würde die Initiative zum Einsperren der Bittsteller von den Provinzbehörden ausgehen, doch würden Pekings Justiz und Polizei diese widerrechtliche Praxis decken.

Laut Human Rights Watch gibt es „schwarze“ Gefängnisse seit Juni 2003. Bis dahin durften Behörden ihnen unliebsame Personen willkürlich festnehmen. Nach einem Todesfall wurden die Gesetze geändert, was die Organisation ausdrücklich lobt. Seitdem hätte sich jedoch die Praxis der „schwarzen“ Gefängnisse entwickelt, gefördert durch die neue Praxis, Beamte mit Petitionen abzustrafen.

Das aus der Kaiserzeit stammende Petitionsrecht ist für viele Chinesen, vor allem auf dem Land, der einzige Weg, gegen Behörden zu protestieren. Stoßen sie dabei auf taube Ohren, wenden sich die Bittsteller an die nächsthöhere Ebene. So halten sich immer hunderte Bürger aus Chinas Provinzen in Peking auf, die beim zentralen Petitionsbüro Eingaben machen wollen. Um diese zu verhindern – landesweit etwa zehn Millionen pro Jahr –, werden die Bittsteller oft an den Bahnhöfen von Beamten ihrer Heimatprovinz abgefangen und nach Hause geschickt oder widerrechtlich eingesperrt.

Chinas Regierung bestreitet die Existenz „schwarzer“ Gefängnisse, über die chinesische Medien schon vereinzelt berichtet haben. SVEN HANSEN