Klebstoff für die Moral

3. LIGA Die Kieler Sportvereinigung Holstein hat beste Chancen in die zweite Liga aufzusteigen. Das ist
auch das Verdienst von Dominic Peitz, dem Riesen, der nicht sprinten kann, dafür aber glänzend navigiert

Trabt meist hölzern über den Platz: Dominic Peitz von Holstein Kiel Foto: Axel Heimken/dpa

von DAVID JORAM

Der Fußballspieler Dominic Peitz fällt auf. Allein rein äußerlich schon, weil der rotbraun-gelockte 32-Jährige fast zwei Meter misst. Aus dieser Höhe fällt es ihm nicht allzu schwer, das Spiel seiner Mannschaft zu navigieren. Dass Peitz derzeit auf höchstem Niveau reüssiert, beweisen vor allem die letzten elf Ligaspiele. Sieben Siege, vier Remis, keine Niederlage. Peitz kommandiert seine Kollegen bei der Kieler Sportvereinigung Holstein, schlicht KSV oder Holstein genannt, gerade Richtung zweite Liga. Spätestens seit dem samstäglichen 2:1-Heimsieg gegen Hansa Rostock steht der Fahrstuhl nach oben bereit – wieder mal.

Zwei Spiele vor dem Saisonende liegt der Drittligist auf Platz zwei, vier Punkte vor Magdeburg und Regensburg. Das heißt: Gelingt der KSV am nächsten Wochenende beim Achten Sonnenhof Großaspach ein Sieg, wäre der Aufstieg perfekt. Falls nicht, gibt es noch eine zweite Chance im letzten Saisonspiel zu Hause gegen den Elften Halle. Gute Vorzeichen also, um den größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte perfekt zu machen.

In der eingleisigen zweiten Liga kickte die KSV noch nie, vor 36 Jahren stieg der Klub aus der zweiten Bundesliga Nord ab – und schlingerte seither irgendwo zwischen dritter und vierter Liga herum. Nie schlechter, aber halt auch nie besser, zum heißesten Sportklub in Schleswig-Holstein avancierten die Handball-Rekordmeister des THW.

Jetzt euphorisiert das Umfeld des Holstein-Stadions. Die Spielstätte der KSV fällt in die Rubrik altehrwürdig, wobei mehr alt als ehrwürdig gilt. 1949 wieder aufgebaut und seither mehrmals geflickt, würde sie dem Anforderungsprofil eines Zweitliga-Stadions laut Deutscher Fußball-Liga (DFL) nicht entsprechen. Mindestens 15.000 Plätze sind laut DFL Pflicht, gegen Rostock bejubelten 9.912 Fans die beiden Tore des Stürmers Kingsley Schindler. Ausverkauft.

Zu wenig Helligkeit bietet die Flutlichtanlage (800 Lux stark). Drittliga-Spieler dürfen da noch rennen und grätschen; Zweitliga-Profis benötigen laut DFL aber mindestens 1.200, um den Ball ordnungsgemäß zu treffen. Und weil sich dafür dann mehr Journalisten interessieren, müsste die KSV auch den Pressebereich erweitern. Was genau das alles kostet, verraten die KSV-Verantwortlichen (noch) nicht. Mit den Mehreinnahmen etwa aus Fernsehgeldern (rund 5,5 Millionen Euro in Liga zwei statt 750.000 Euro in Liga drei) wären Anpassungen finanzierbar. Und die Pläne sind sowieso vorhanden, weil die KSV 2015 fast aufgestiegen wäre. Erst in der Nachspielzeit schoss Relegationsgegner 1860 München das entscheidende Tor zum 2:1, Kiel blieb drittklassig. Und Dominic Peitz? Der blieb damals zweitklassig, verpasste den Bundesliga-Aufstieg mit dem Karlsruher SC gegen den HSV auf dieselbe Art. Platz drei und Relegationsspiele braucht auch er nicht.

Peitz verrichtet so gnadenlos seinen Abräumdienst, als laufe er mit Baggerschaufeln übers Feld

Vor dieser Saison wechselte Peitz aus Karlsruhe zur KSV, wo er einen Vertrag bis 2019 erhielt. „Wir müssen konzentriert bleiben, dann haben wir eine große Chance, etwas Besonderes zu erreichen“, fordert Peitz, den sie in Karlsruhe nicht so lange an sich binden wollten. Vor einer Woche sind die Badener in Liga drei abgestiegen, auch weil einer wie Peitz fehlte.

Der defensive Mittelfeldspieler verrichtet in Kiel so effektiv und gnadenlos seinen Abräumdienst, als laufe er mit Baggerschaufeln statt Fußballschuhen übers Feld. An Peitz arbeiten sich die Gegner ab und die Mitspieler hoch, er kommuniziert viel, leitet die Befehle des KSV-Trainers Markus Anfang auf dem Platz weiter und spult konstant das ab, was er kann: Räume verdichten, Bälle abjagen, Kopfballduelle gewinnen, und – wenn’s ein Zeichen braucht – Gegenspieler umgrätschen. Was er nicht kann: sprinten! Peitz trabt über den Platz, sein Laufstil ist so atypisch wie der von Bayernspieler Thomas Müller, nur eben sehr viel gemächlicher. Das schaut dann meist ein bisschen hölzern aus und ist höchst gewöhnungsbedürftig. Aber Peitz wird ja nicht für 100-Meter-Rennen bezahlt, sondern fürs Mentalitätspenden. Wie Klebstoff hält er die einzelnen Mannschaftsteile zusammen und die Moral aufrecht. „Er hat Ausstrahlungskraft“, sagt Anfang, „das ist auch seine Aufgabe, und die erfüllt er gut.“

Peitz selbst sieht die Sache etwas simpler, er findet, dass alle im KSV-Team einen guten Job machen: „Ich wüsste jetzt nicht, wen man hervorheben könnte. Wir haben keinen, der 25 Tore schießt, und auch keinen, der eine Passquote von 95 Prozent wie Toni Kroos hat.“ Solche Kicker braucht’s bei der KSV offensichtlich auch nicht – ein starkes Kollektiv und guter Klebstoff reichen für den Aufstieg.