Ein schneller Lerner

Radsport Der Belgier Tom Dumoulin baut beim Giro d’Italia seine Führung vor dem Favoriten Nairo Quintana aus. Selbst in seinem deutschen Team staunt man darüber

Fühlt sich stark: Tom Dumoulin profitiert beim Etappensieg in Oropa auch von vergangenen Erfahrungen Foto: ap

Aus Oropa Tom Mustroph

Tom Dumoulin überrascht. Und das Überraschendste ist, dass er dies beim Giro d’Italia Tag für Tag macht. Seinen unerwartet großen Vorsprung beim Zeitfahren ließ der Kapitän des deutschen Teams Sunweb nun den Bergetappensieg in Oropa folgen. Der Niederländer, genannt „Schmetterling von Maastricht“, wehrte alle Attacken der Rivalen mit erstaunlicher Mühelosigkeit ab und sieht zumindest eingangs der dritten Woche wie der Favorit auf den Giro-Sieg aus.

„Nein, gewonnen habe ich diesen Giro noch nicht“, wehrte Dumoulin alle voreiligen Glückwünsche ab. „Gefühlt ist der Giro ja nicht einmal zur Hälfte gefahren. In der letzten Woche kann noch so viel passieren“, meinte der Niederländer, nachdem er sich bei der Siegerehrung erneut das rosa Trikot übergestreift hatte. Dumoulin setzte aber Akzente. „Er ist unglaublich stark“, lobte ihn sein Hauptrivale Nairo Quintana. Der Kolumbianer wirkte fast schon ein wenig verzweifelt. Alles hatte er gegeben am Marco Pantani-Hausberg; hier hatte „il pirata“ beim Giro 1999 gleich 49 Rivalen einen nach dem anderen eingefangen und für eine der Berglegenden im Radsport gesorgt. Quintana sprengte mit seinen Antritten immerhin die Leadergruppe und stob davon. Er konnte sich aber nicht entscheidend absetzen. Und während er kurbelte und kurbelte und mit immer größer werdender Verzweiflung feststellte, dass die Steigung abnahm, seine Gewichtsvorteile geringer wurden und wieder mehr die pure Muskelkraft zum entscheidenden Faktor wurde, musste er auch erkennen, dass Dumoulin ihm wieder näher kam.

Auf und nieder stampften beim Sunweb-Kapitän die Schenkel, wie die Kolben einer Dampfmaschine. Und das rosa Trikot, das sich mächtig über dem Brustkorb wölbte, schob sich Meter um Meter näher. Beim Sprint um den Etappensieg spielte Dumoulin vollends seine Kraft aus. Er holte den Etappensieg und zusätzlich wertvolle Bonifikationssekunden, die vor allem der Kolumbianer schon fest eingeplant hatte. Sein Vorsprung in der Gesamtwertung auf den Zweiten Quintana beträgt nun 2:47 Minuten.

Das löste Staunen aus. Bei der Konkurrenz, siehe Quintana, aber sogar im eigenen Lager. „Das hätten wir vorher nicht gedacht, dass er noch die Power hat, um den Tagessieg mitzufahren“, meinte Teamkollege Simon Geschke. „Tom überrascht mich Jahr für Jahr“, meinte trocken Laurens ten Dam, ebenfalls Teamkollege und zudem Landsmann und langjähriger Trainingspartner. Ten Dam stellt für den jüngeren Dumoulin eine Bezugsgröße dar. Der Routinier war in der Hochphase seiner Karriere selbst ein respektabler Klassementfahrer, kam in die Top 10 bei Tour und Vuelta. Er hat dem Jüngeren einiges erzählt, worauf man achten muss bei großen Rundfahrten. Im letzten Jahr wurde er auch ins Dumoulin-Team geholt, um dort ganz explizit seine Erfahrungen einzubringen. Aber inzwischen ist es ten Dam, der Erfahrungen macht. Den alten Fahrensmann beeindruckt, wie kalkuliert der 26-jährige Dumoulin fährt, wie er seine Kräfte einteilt, wie er vor allem immer die Ruhe bewahrt.

Beeindruckend wie kalkuliert Dumoulin fährt, wie er stets die Ruhe bewahrt

„Das liegt an meinem Charakter. Wenn um mich herum der Stress, die Aufregungen zunehmen, dann werde ich selbst innerlich ruhig“, erzählte Dumoulin entspannt in Oropa. Wie ein ganz Alter sprach er auch schon von der Routine, die er im Bewältigen der Leaderpflichten erworben hat. „Mir half dabei, dass ich schon bei der Vuelta und letztes Jahr beim Giro das Führungstrikot trug. Ich weiß, was es bedeutet, wenn alle mit dir ein Selfie machen wollen, wenn Pressekonferenzen und Dopingkontrollen zu absolvieren sind. Und auch über die vielen kleinen Details, die eine große Rundfahrt ausmachen, das Essen, das Erholen, weiß ich nun besser Bescheid“, sagte er. Und fügte hinzu: „Ich bin ein schneller Lerner.“

Das war durchaus als Kampfansage an die Konkurrenz gedacht. Denn Dumoulin, der „schnelle Lerner“, dürfte auch seine Lehren aus der Vuelta 2015 gezogen haben. Da verlor er am letzten Berg noch die gesamte Rundfahrt. „Sicher können wir erst sein, wenn wir in Mailand sind“, meinte Teamkollege Geschke. Und Dumoulin wies auf die vielen Berge hin, die noch kommen. „Die liegen mir nicht alle so wie der Anstieg nach Oropa“, blickte er voraus.

Dumoulin wird kämpfen müssen. Aber er könnte dem niederländischen Radsport nach längerer Durststrecke mal wieder zu einem Grand-Tour-Triumph verhelfen. Und einem deutschen Team gleich mit. Erfolge deutscher Fahrer und Mannschaften sind bei der Italienrundfahrt eine rare Angelegenheit.