Ach du lieber Gott

Gebet Missbrauch, Scham und Macht: Gott muss seinen Laden aufräumen und weniger fernsehen

Lieber Gott,

die Gebete zu dir beginnen ja meistens sehr kosend. Mancher sagt sogar Daddy oder Papa. Das ist mir zu intim. Eigentlich finde ich auch nicht, dass du besonders lieb bist. Denn in deinem Laden läuft so einiges schief.

Manchmal denke ich, du siehst nur fern. Denn für dich und deine Fanbase liegen die Probleme stets in der Ferne. Dinge, für die du beten lässt, sind weit weg. Wenn auf dem Kirchentag über Religionsfreiheit und Hassrede gesprochen wird, dann mit einem Gast aus Uganda. Wer denkt an den Pubertären aus der württembergischen Dorfkirche, dem gesagt wird, du interessierst dich dafür, mit wem und wie viel Sex er hat? Oder für die junge Frau, der in ihrer Freikirche gesagt wird, sie solle sich bis zur Erschöpfung engagieren, weil du das so willst? Merkst du was?

Gott, du verfolgtest Vergewaltigungen schon live, bevor es Facebook gab. Du lässt deinen Namen gerne missbrauchen – du reichst keine Patentklage ein, wenn jemand sagt, Gott wolle, dass alle Ungläubigen sterben. Und du siehst zu, wenn in ­deiner Kirche Kinder missbraucht und Arme ausgebeutet werden.

Du weißt doch, wohin allein schon Worte führen können. Junge Menschen, die anders sind, nehmen sich das Leben. Sie kommen in dieser Welt nicht mehr klar, die ihnen sagt, die nächste Welt hätte auch keinen Platz für sie.

Du lässt immer nur Ver­tre­ter*in­nen reden. „Du hast dich an Gott vergangen“, sagen sie. Weißt du, was dieser Satz in einem jungen gläubigen Menschen auslösen kann? „Dieser krasse Übervater, CEO des Universums, hat deinetwegen seinen Sohn schön langsam verrecken lassen. Der Founder of the Universe hat dich zwar gemacht, aber er bereut es jeden Tag ein bisschen mehr.“ Na toll!

Fake God!

Wer religiösen Missbrauch erlebt hat, der wird Angst haben vor den Worten: „Du siehst mich.“ Denn alles, was ein Kind in einer solchen Situation will, ist nicht gesehen werden. Denn du, Gott, guckst doch meistens grimmig, wenn du denn mal hinsiehst. Sagt man. Vielleicht gibt es dich aber auch gar nicht. Fake God!

Ich finde, du machst es dir mit dem Kirchentag schon sehr bequem. Mit diesem ganzen Gesäusel und Gerede. Räum in deiner Kirche mal ein wenig auf. Du kannst gerne weiter fernsehen, aber guck doch auch mal nach links oder rechts, was so los ist auf deinem Sofa. Und spiele mal mit ihnen „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

Amen.

Sami Rauscher