Unverschämt unangestrengt

FOLK-BLUES-POP Niemals einfach „so und so“: Die Schweizerin Sophie Hunger lässt sich nicht nur stimmlich ungern festlegen. Gerade deshalb gelingt ihr mit „The Danger of Light“ ein ebenso souverän arrangiertes wie überaus fantasievolles Album

Sophie Hunger verwirrt, denn sie singt in vielen Bedeutungsfarben zugleich

VON MICHAEL SAAGER

Das Leben ist ungerecht. Da verschleißt man einen Gesangslehrer nach dem nächsten oder übt tagein, tagaus, einem waghalsigen Turmspringer gleich, drei, ach was, vier Oktaven fassende Vibratohechtsprünge, und am Ende hört sich alles an wie Beyoncé.

Der Schweiz erfolgreichsten Pop-Exportschlager, die 29-jährige Musikerin Sophie Hunger, kann man sich allenfalls als leicht boshaft lächelnden Zaungast solch Ohrenfelle zausender Hupfdohlendarbietungen vorstellen. Denn Hunger, die äußerst wortgewandte, (dunkle) Grenzerfahrungen verschiedenster Art schätzende, viel gereiste Diplomatentochter mit dem erstaunlichen Faible für den eher farblosen Tennisstar Roger Federer, hat die Stimme. Na gut, vielleicht hat sie auch bloß eine sehr schöne, sehr ausdrucksstarke Stimme. Gleich, was sie mit ihr anstellt, stets klingt sie unverschämt unangestrengt.

Hunger, deren sehr gutes viertes Album „The Danger of Light“ gerade erschienen ist, verwirrt, denn sie singt in vielen Bedeutungsfarben zugleich: Klingt sie auf dem im schnellen Schunkelgroove getakteten Opener „Rerevolution“ nun bedauernd, klagend, mitreißend optimistisch oder zu Tode betrübt? Man kann es nicht sagen. Indes halten Ambivalenzen Dramen lebendig, sorgen für Spannung. In einer Art Schwebezustand befindet sich auch die Protagonistin des Songs, eine Revolutionärin im Geiste, die sich nicht dazu durchringen kann, die Initiative zu ergreifen, zu handeln.

Die in Zürich lebende Künstlerin lässt sich nur ungern festlegen. Wofür sie bisweilen gute Gründe hat. Als ein Interviewer sie kürzlich fragte, ob sie ein fröhlicher oder ein melancholischer Mensch sei, musste sie beide Male verneinen. Bist du dies, bist du das? Wie blöd! Man liest so was, und wundert sich einmal mehr, wie bereitwillig man sich selbst in banalste, dem Leben kaum gerecht werdende Klischees pressen lässt. Hunger nicht, sie sagt: „Das Konzept Identität habe ich nie ganz begriffen. Ich weiß nicht, was die Leute meinen, wenn sie sagen: Ich bin so und so.“

„So und so“ sind die Texte ihres dritten Albums nicht, und die Musik ist es auch nicht. Einen roten Faden gibt es trotzdem. Hunger ist eine flexible, überaus fantasiebegabte Autorin: „Ich nehme, was mir im Kopf herumschwirrt, oft ist es nur ein Bild oder ein Wort, das ich wachsen lasse wie einen Pilz.“ Am Ende stehen da elf Geschichten, erzählt in vierzig Minuten; sie handeln von Freiheitsstatuen, die sich alles andere als frei fühlen, vom bedrohlichen Durcheinander im Kopf einer Amokläuferin, vom idiotischen Phrasen-Terror des „Neuen“: „30 ist das neue 20, der Mann ist die neue Frau, Freiheit ist das neue Gefängnis ...“.

Die Songs, immer geschmackvolle Folk- und Barjazz-Balladen, Midtempo-Gleiter, die von viel Soul getragen werden, anmutige Minimalrocker, deepe, energetische Stücke mithin, die von einer souveränen Spannung im Aufbau leben, so dass man lieber nicht weghören möchte – Hunger hat sie in mehreren Sessions, in Los Angeles und in Frankreich, mithilfe des Warpaint-Produzenten Adam Samuels und verschiedenen Gastmusikern aufgenommen.

Diese Songs sind so luftig arrangiert wie sie kompakt, ja beinahe kräftig erscheinen. Und transparent, niemals verwaschen – man kann jede Note glasklar hören, jedes Gitarrenpicking, jedes davon schwebende Posaunensoli. Und jedes Bedauern aus bei hohen Temperaturen gebranntem Porzellan. Von dem allerdings kann man nie wirklich wissen, wie Hunger es meint. Denn sie lügt, wie sie selbst kokett sagt, nun mal ausgesprochen gern – und ausgesprochen viel.

■ Hannover: Do, 15. 11., 20 Uhr, Schauspielhaus, Prinzenstraße 9; Hamburg: Sa, 17. 11., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36