Krankheit als Metapher

NOISE-ROCK Das Berliner Trio Kala Brisella stellt beim Torstraßenfestival sein tolles Debüt vor

Der gebrochene Widerstand des Körpers verkehrt sich in den Widerstand des Subjekts

Die Renaissance des scheppernden und krachigen Rock, sie ist bislang eigentlich verlässlich an Berlin vorbeigezogen. Beziehungsweise nur so halb hier angekommen: Die interessanteren Noise-Bands der vergangenen Jahre – Die Nerven, Karies, Human Abfall – stammen alle aus Stuttgart, einige Musiker aus diesem Zirkel sind allerdings inzwischen an der Spree wahlbeheimatet.

Mit Kala Brisella – das ist der Name der Band, um die es hier geht – hat jüngst ein Berliner Trio sein Albumdebüt veröffentlicht, dessen Sound deutliche Referenzen ans Spät-80er-Seattle und ans zeitgenössische Schwabenland aufzeigt. Die Lärm­attacken, die deutschsprachigen Texte, eine grundskeptische Haltung: all das klingt bei Kala Brisella an, sie schrabbeln die Akkorde ebenso erfrischend runtergerockt wie genannte Kollegen. Beim Torstraßenfestival kann man das heute am Samstag überprüfen, wenn die Band, die sich nach einer Pizzeria am Hermannplatz benannt hat, ihr Album vorstellt.

Das Thema Krankheit verwenden Kala Brisella leitmotivisch. Ein befallener Organismus, ein kraftloser Körper, ein müder Geist, all dies sind wiederkehrende Sujets, die pars pro toto für funktionsunfähige Strukturen, für aufgebrauchte Ressourcen zu stehen scheinen. Im Titelstück „End­lich krank“, einem der stärksten Lieder, wird das Kranksein zur Metapher; der gebrochene Widerstand des Körpers verkehrt sich in den Widerstand des Subjekts.

Musikalisch beziehen sich Kala Brisella nicht nur auf Noise, sondern auch auf Postrock und Shoegazer, von den hiesigen Helden kommen einem Die Goldenen Zitronen oder Toco­tro­nic in den Sinn. Dass für den Sound der Berliner Produzent Tadklimp von der Band Fenster und Tontechniker Ralv Milberg, der eben auch schon Die Nerven und Co. betreute, verantwortlich zeichnen, macht sich positiv bemerkbar. Da heult die Gitarre sirenenartig auf, da bratzt der Bass vor sich hin, da gibt es Backgroundchöre.

Auf Albumlänge gibt es noch den ein oder anderen Durchhänger – zum Beispiel zählt ausgerechnet der Opener „Oral B“ zu den textlich schwächeren Songs –, und manchmal hätte man sich etwas mehr Feinarbeit gewünscht.

Das ändert nichts an einem starken Debüt und an den Qualitäten des Trios, die man inzwischen auch andernorts erkannt hat: Wenn Sonic-Youth-Legende Thurston Moore Ende Juni mit seiner neuen Band durch Deutschland tourt, dann geben Kala Brisella den Anheizer. Jens Uthoff

Kala Brisella: „Endlich krank“ (Späti Palace) – live: heute am Samstag, 16 Uhr, Bassy Club, Schönhauser Allee 176 a, im ­Rahmen des Torstraßenfestivals