Im Zeichen des Davidsterns

Antisemitismus In Leipzig wird die jüdische Woche gefeiert – wir fragen Opfer von Antisemitismus

Goldene Zeiten? Leider immer noch nicht Foto: Matthias Rietschel/ap

„Wer weiß denn, woher Hummus wirklich kommt?“

Eldar Fano Foto: Hanna Voß

Eldar Fano: „Als ich 24 war, habe ich Israel verlassen und bin nach Leipzig gezogen. Vergangenes Jahr habe ich mit einem Partner die Akko-Bar gegründet, die nach meiner Heimatstadt in Israel benannt ist. Mir war aufgefallen, dass man in Leipzig nirgendwo guten Hummus bekommt, also bieten wir den in unserer Bar an.

Ich finde den Begriff Antisemitismus schwierig, da die Leute, die mir begegnen, ja zunächst überhaupt nicht wissen, woher ich stamme. Ich kann also eher behaupten, dass ich Rassismus als Antisemitismus erlebt habe.

Einmal jedoch wurde ich bei einem Festival in Zwickau als Nazi beschimpft, als ich sagte, ich komme aus Israel. Da war ich sehr schockiert. Der Typ kannte mich und meine Einstellungen einfach nicht. In Israel war ich politisch aktiv und immer pro-palästinensisch eingestellt.

Und dann gab es in meiner Bar vor Kurzem natürlich den Vorfall mit der Band The Cosmic Dead, die ich gebucht hatte. Die waren richtig angepisst, als sie erfuhren, dass ich aus Israel stamme. Die wollten mir nicht mal die Hand geben und haben mir gesagt, ich solle den Schriftzug „Authentisches israelisches Essen“ an meinem Fenster wegwischen, weil es das nicht sei. Fuck, wer weiß denn bitte, woher Hummus wirklich kommt? Zumindest ist er tief in der israelischen Kultur verwurzelt.

Ich habe versucht, mit ihnen zu reden, habe gesagt, ich sei nicht pro Israel, ich habe palästinensische Freunde und so weiter. Aber sie haben nicht zugehört, und so musste ich die Show absagen. Erst als es daraufhin einen richtigen Shitstorm gegen die Band im Internet gab und die gemerkt hat, dass sie keine Konzerte mehr bekommt, hat sie sich entschuldigt.

Von den Sätzen „Israel ist scheiße“ und „Israel ist toll“ stimmt keiner. Beide Seiten haben so viel Recht wie Unrecht. Ich finde, jeder darf Israel kritisieren, aber ich spüre einfach, wenn jemand antisemitische Vorurteile hat. Nämlich immer dann, wenn keine ausgewogene Debatte zustande kommt, sondern jemand Israel bedingungslos scheiße findet. Anders­herum gilt das aber auch, dann wird es antiarabisch oder antiislamisch. Ab da macht das für mich keinen Sinn mehr.“

Protokoll Hanna Voß

Eldar Fano, 36, Inhaber der Akko-Bar in Plagwitz, mehr Informationen unter: www.facebook.com/AKKOBAR

„Totschweigen gilt sicherlich nicht“

Gisela Kallenbach Foto: Martin Rulsch

Gisela Kallenbach: „Ich möchte ein Zeichen setzen, dass wir als Nichtjuden, als Christen oder auch Nichtgläubige, die anwachsende jüdische Gemeinde in Leipzig unterstützen: Es ist schön, dass wieder jüdische Menschen unter uns leben.

Zu antisemitischen Überfällen kam es bei uns zum Glück noch nicht so häufig. Aber es gab mehrere Mails, die uns im Jahr 2016 erreicht haben und die wir dann der Polizei übergeben haben, damit sie Ermittlungen führen kann.

Das waren klare antisemitische und eigentlich auch menschenverachtende Inhalte, die uns zugeschickt wurden. Es ist erschreckend, zu welchen Formulierungen manche Menschen fähig sind.

Eine Mail beginnt mit dem Schärfsten, wo dann gesagt wird: „Der Holocaust ist eine Lüge. Verpisst euch mit eurer Wahrheit. […] Ihr seid Dreck, ihr gehört ausgerottet.“

Und in dem Stil geht es weiter. Das ist einfach unmenschlich, nicht hinnehmbar und ganz klar zu verurteilen.

Die Staatsanwaltschaft hat leider die Ermittlungen eingestellt. Wahrscheinlich aus sehr formalen Gründen. Wir haben auch keine direkte Strafanzeige gestellt, weil wir bisher keinerlei Erfahrung im Umgang mit derartigen Mails hatten.

Ich und die anderen Nichtjuden im Vorstand können in solchen Momenten eigentlich nichts anderes tun, als unseren jüdischen Mitbürgern versichern, wie sehr wir das verabscheuen und dass wir auf jeden Fall an ihrer Seite stehen. Und dass wir sie ganz klar im Zweifelsfalle dann auch in Schutz nehmen und uns für solche Taten schämen.

Ich bin mir unsicher, was die bessere Lösung ist. Totschweigen gilt sicherlich nicht. Wir können nur immer wieder versuchen, mit Bildung und Information dazu beizutragen, dass so etwas nie wieder geschieht. Indem wir eben sagen: Wir sind eine bunte Gesellschaft, und wir stehen zusammen.“

Protokoll Lars Hendrik Setz

Gisela Kallenbach, 73, war bereits Europaabgeordnete und Abgeordnete des sächsischen Landtags. Als Nichtjüdin ist sie Vorstandsvorsitzende des Synagoge und Begegnungszentrums Leipzig e. V.

„Es ist Zeit für einen Dialog“

Svetlana Tarassova: „Judentum ist für mich keine Religion, das ist mein ganzes Leben. Wie ich zum Beispiel meinen Tag verbringe, wie ich zu meinen Mitmenschen stehe, wie ich mich in der Gesellschaft benehme. Was ich esse, vielleicht, welche Arbeit ich mache.

Judentum beeinflusst für mich alles. Und das finde ich ziemlich cool. Aber leider gibt es auch eine andere Seite. Man kann so positiv sein wie sonst was. Auch wenn ich direkt nicht so oft betroffen bin. Trotzdem höre ich und sehe ich, wenn etwas passiert.

Man merkt das bei uns in der Gemeinde. In diesem Jahr gab es da zwei Vorfälle. Einmal hat jemand ein Hakenkreuz bei uns an die Gemeindetür und an die Wand gesprüht.

Und im April, da haben wir einen Brief an der Tür gefunden. In dem wurde geschrieben, dass wir alle in die Gaskammer gehören. Das ist schon unangenehm und beängstigend. Also nicht, dass ich jetzt so große Angst um mich habe. Aber um meine Gemeinde schon. Das finde ich nicht in Ordnung.

Ich finde es auch sehr schade, dass wir die Täter nicht ausfindig machen konnten. Das verunsichert viele Leute. Gerade die ältere Generation, für die die Ereignisse des Holocausts noch eine Rolle spielen. Bei vielen Gemeindemitgliedern sind Familien im Konzentrationslager umgekommen. Wenn man dann so etwas liest, kommt nichts Gutes dabei raus.

Es bringt einen weiteren Nachteil mit sich und eine für uns leider sehr schreckliche Folge: Diese Mitglieder haben Kinder oder Enkelkinder. Und an die wird das weitergegeben, das Gefühl, dass die jüdische Gemeinde nicht sicher ist. Und dann trauen sich die Familien und Jugendlichen nicht, in die Gemeinde zu kommen.

Wenn man darüber nicht spricht, wenn es alles im ­Hintergrund bleibt, dann ist es auch kein Wunder, dass nichts passiert. Und wiederum: Wenn man darüber laut sprechen möchte, ist es auch nicht unbedingt richtig. Weil es um ­Individuen geht, die so etwas machen. Und das kann man nicht auf die gesamte Gesellschaft beziehen. Da ist eine sehr feine Grenze.

Ich glaube eher, es ist Zeit für einen Dialog.“

Protokoll Lars Hendrik Setz

Svetlana Tarassova, 32, Mitglied in der israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Dort leitet sie unter anderem die Jugendgruppe Leipziger Chaverim

„Jeder sollte sich erinnern“

Michal N.: „Ich lebe seit fünf Jahren in Deutschland, mit 28 bin ich aus Israel weg und in die Schweiz gegangen, vor fünf Jahren dann nach Leipzig. Ich habe einen deutschen Mann, für den es als Nichtjude viel schwieriger gewesen wäre, nach Israel auszuwandern, als umgekehrt für mich nach Deutschland. Das war gar kein Problem.

In Leipzig fühle ich mich sehr wohl, und ich kann nicht sagen, dass ich hier schon mal richtig Antisemitismus erlebt habe. Ich glaube aber auch, dass für viele Deutsche noch nicht wieder präsent ist, dass Juden erneut in ihrem Land leben, in Leipzig sind es immerhin um die 1.300. Doch es existiert kein Bewusstsein für sie.

Wenn ich mit meinem Baby Hebräisch spreche, erkennt die Sprache niemand. Und da ich wie eine europäische Frau aussehe, erlebe ich auch keine andere Form von Rassismus. Einer jüdischen Freundin mit iranischen Wurzeln geht das manchmal anders.

Für meine Familie ist es schon ein Thema, dass ich nach Deutschland gezogen bin. Alle meine Großeltern sind Holocaust-Überlebende aus Polen, dieses Trauma ist immer präsent.

Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass viele Deutsche dieses Kapitel zunehmend von sich wegschieben. Dass sie sagen, der Holocaust gehöre nicht zu ihnen und sie hätten damit nichts mehr zu tun.

Natürlich mache auch ich niemanden mehr dafür verantwortlich, und ich brauche von niemandem eine Entschuldigung.

Ich hatte ein gutes Leben in Israel. Doch würde ich mir wünschen, dass die Erinnerung wachgehalten wird. Jeder sollte sich erinnern, um zu verstehen, wie Faschismus funktioniert. Übrigens auch jeder in Israel, da ich sehr dagegen bin, wie unsere Regierung versucht, Nationalismus zu stärken.

Ohnehin habe ich jede Menge Kritik an Israel. Wenn ich allerdings selbst mit Israelkritik konfrontiert werde, habe ich oft das Gefühl, dass die Kritik an der Regierung mit den Menschen im Land gleichgesetzt wird. Israelkritik ist vielleicht persönlicher als die Urteile über andere Länder. Womöglich ist auch das eine Form von Antisemitismus.“

Protokoll Hanna Voß

Michal N., 37, ist Hebräisch-Lehrerin an der Universität Leipzig