Autsch!

RAMBO-RADLER Weltmeister Peter Sagan ist nach einem hässlichen Manöver während eines Zielsprints von der Tour de France ausgeschlossen worden. Ist das angemessen?

Weg da! Peter Sagan (l.) lässt sein Opfer, Mark Cavendish, in der Bande zurück Foto: dpa

Ja

Wir erinnern uns an Dschamolidin Abduschaparaow, jenen Hasardeur auf dem Rad, der seine Sprints mit heftig wippendem Rad fuhr. Manchmal wippte Abdu, wie er genannt wurde, so stark, dass ein Sprintduell mit dem Usbeken einem Himmelfahrtskommando glich. Wir erinnern uns, wie der Olympiasieger Paolo Bettini den Australier Baden Cooke bei einer Etappe des Giro d’Italia 2005 in die Bande drückte. Ja, es hat solche rücksichtslosen Sprinter wie Abdu oder Bettini immer gegeben, Profis, die ihr eigenes Schicksal über das der anderen stellen und die der Meinung sind, sie hätten wegen ihrer überragenden Fähigkeiten, mit 70 Sachen ins Ziel zu donnern und regelmäßig Siegerbussis zu bekommen, ein Recht auf Vorfahrt.

Jetzt ist es Peter Sagan, der sich aufs Gewohnheitsrecht des Stärkeren beruft. Der Weltmeister aus der Slowakei ist einer von denen, die im Peloton das Sagen haben. Sagan ist schnell, vielseitig, fotogen. Er ist aber auch ein Patron, so ähnlich wie seinerzeit Lance Armstrong. Ein Patron hat die Erwartung, dass man seine Stärke respektiert. Dass man sich unterwirft. Bei einer Sprintankunft der Tour de France zerbröselt allerdings jede Hackordnung. Jetzt zählen nur die Beine. Wenn einer wie Mark Cavendish sich anschickt, Super-Sagan zu überholen, dann greift der schon mal wie Bettini oder Abdu zu unfairen Mitteln. Er drängt den Konkurrenten an die Bande und gibt ihm noch eine mit dem Ellenbogen mit. Die Ansage ist klar: An mir, dem Weltmeister und Etappensieger vom Vortag, kommst du Würstchen nicht vorbei. Dieses Verhalten ist freilich ein Anschlag auf die Gesundheit des Konkurrenten. Die Körperverletzung ist nicht fahrlässig, sie ist gezielt.

Peter Sagan muss klar gewesen sein, dass er mit seiner Rambo-Aktion andere Profis bei Tempo 70 vom Rad holt. Es ist nur einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass es lediglich Prellungen, Schürfwunden und Knochenbrüche gegeben hat. Sagans Verhalten ist keine Bagatelle, weil der Körper das Kapital eines jeden Radprofis ist. Mit kaputtem Schulterblatt kann Cavendish nun aber nicht mehr seinem Beruf nachgehen, etwa um Geldprämien bei der Tour kämpfen. Sagan hat aber noch mehr Schaden angerichtet: Er hat der Tour grausige Bilder beschert, er hat als Weltmeister dem Verband UCI einen Bärendienst erwiesen, und er hat sein Image als flippiger Lebemann um ein Kapitel bereichert, das nicht nur sein deutscher Arbeitgeber Bora gern streichen würde.

Peter Sagan musste hart bestraft werden. Das Zeichen, das die Veranstalter der Tour de France gesetzt haben, ist richtig, denn diese hochriskanten Sprints brauchen klare Regeln. Und die Tour braucht Fahrer, die diese Regeln befolgen. Kein Zuschauer, der ein echtes Interesse am Radsport hat, möchte diese furchtbaren Stürze sehen.

Markus Völker

Nein

Sprints sind brutal. Kommt das Feld geschlossen auf die Zielgerade, wird Radeln zur Vollkontaktsportart. Die Ellbogen werden ausgefahren, die Schultern berühren sich, regelmäßig stoßen die Helme der Fahrer aneinander. Es sind diese Szenen, die einen Sprint bei den Radsportfans so populär machen. Es gewinnt nicht einfach der Fahrer, der die höchste Endgeschwindigkeit auf die Straße bringt, es gewinnt der, der sich am besten durchsetzen kann. So war das bislang, aber so soll das wohl in Zukunft nicht mehr sein. Peter Sagan wurde von der Tour de France ausgeschlossen, weil er getan hat, was ein Sprinter bei einem Sprint eben tut. Er hat das Hinterrad eines Konkurrenten gesucht, hat sich so breit gemacht, wie er konnte, und dabei seinen Ellbogen ausgefahren. Das war brutal – vor allem für Mark Cavendish, den Briten, der mit Tempo 70 in die Absperrung geknallt ist, sich das Schulterblatt gebrochen hat und die Tour beenden musste. Aber wäre das Urteil der Jury auch gefällt worden, wenn sich Cavendish nicht verletzt hätte?

Wäre es wirklich genauso gefallen, wenn es nicht den Fahrer getroffen hätte, der schon 30-mal eine Tour-Etappe gewonnen hat? Hätte die Jury die Bilder vom Sprint anders bewertet, wenn nicht umgehend ein Aufschrei durch die sozialen Medien gegangen wäre? Der Fall ist jedenfalls schnell größer geworden, als er es wirklich war.

Cavendish selbst wird das am besten wissen. Er hat beim Omnium-Rennen auf der Olympiabahn von Rio 2016 den Südkoreaner Sanghoon Park regelrecht von der Bahn geräumt und später ohne schlechtes Gewissen die Silbermedaille entgegengenommen. Unvergessen ist auch sein Rempler beim Sprint auf der zehnten Tour-Etappe 2013 in Saint-Malo. Da hatte der Brite den Niederländer Tom Veelers derart hart bedrängt, dass der stürzte und mehrere Meter über den Asphalt schlitterte. Statt sich zu entschuldigen, riss Cavendish einem Reporter, der es gewagt hatte, ihn auf die Aktion anzusprechen, das Aufnahmegerät aus der Hand.

Ja, so sind sie, die Sprinter. Sie machen es immer auf die harte Tour. Sagan lebt dabei ebenso von seiner Macho-Attitüde wie ein Mark Cavendish. Das muss man wahrlich nicht gut finden. Aber dieser Machismo gehört zum Radsport. Dass er ebenso lebensgefährlich sein kann wie eine Abfahrt von einem Alpenpass bei Tempo 100, damit haben sich Fans und Fahrer längst abgefunden. Wer da nicht hinschauen kann, für den gibt es andere Sportarten. Wie wäre es mit Wimbledon? Das läuft ja auch gerade.

Was soll also diese überharte Bestrafung von Peter Sagan? Wollen die Radsportverantwortlichen wirklich den Weg zum Saubermannsprint beschreiten mit dem vom ADFC empfohlenen Überholabstand von 1,50 Meter? Das wäre gewiss so interessant wie ein Formel-1-Rennen bei Tempo 30.

Andreas Rüttenauer