„Das hier ist mein Lebenswerk“

Schluss Vier kleine Läden in Neukölln wird es bald nicht mehr geben. Betroffene erzählen, was die Kündigung für sie bedeutet

Den Zauberladen gibt es seit 130 Jahren. An der Hermannstraße ist er seit Anfang der 50er, und wir haben ihn vor fünf Jahren von der Tante und dem Opa meiner Kollegin übernommen. Unser Mietvertrag war von Anfang an befristet, und uns war klar, dass wir irgendwann rausmüssen. Und ehrlich gesagt: Es regnet rein, die Abwasserrohre sind kaputt, im Winter frieren wir uns den Arsch ab, und in unserem kleinen Lager haben wir extremen Platzmangel. Also wir gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Aber wir haben schon vor, den Laden noch viele Jahre zu machen, und würden natürlich gern in der Nähe bleiben. Da sind wir auch im Gespräch mit der Kirche, die uns unterstützen will. Den Zauberkönig wird es auf jeden Fall weitergeben.

Wir sind seit fünf Jahren hier mit unserem Laden. Bei uns gibt es Halloumi, Falafel, Makali – alles ohne Fleisch. Wir sind damit auch der einzige Laden, der hier in der Gegend nur vegetarische Gerichte verkauft, und haben viel Stammkundschaft. Ich arbeite als Angestellter und habe noch einen Kollegen. Wir machen richtig gutes Falafel, so wie ich das in Ägypten gelernt habe. Der Laden ist einfach besonders. Wenn es den eines Tages nicht mehr gibt – eine Katastrophe! Ich bin allein mit vier Kindern. Meine Frau ist in Ägypten und bekommt kein Visum, um einzureisen. Das ist also sehr schlimm für mich, meinen Job zu verlieren.

Von Anne Pollmann
(Protokolle) und Piere Chiussi(Fotos)

An den Laden bin ich 2015 über einen Aushang im Dong-Xuan-Center in Marzahn gekommen. Davor war ich Blumenhändlerin, den Job musste ich wegen einer Allergie aufgeben. 30 Tage im Monat stehe ich von 11 bis 22 Uhr hier, die Arbeit wirft nicht viel ab, aber der Laden ist mein Leben. Ich weiß nicht, was ich danach machen soll. Mit 61 bin ich für die Rente zu jung, für einen neuen Job wohl zu alt. Ich muss noch Schulden abbezahlen, habe zwei Kinder in Vietnam, denen ich Geld schicke. Eines ist suchtkrank, das andere körperlich behindert. Ohne Job wird es sehr schwer für mich. Eine Wahrsagerin sagte einmal, dass ich erst glücklich werde, wenn ein Blatt vom Mond auf die Erde fällt – also nie. Das ist wohl mein Schicksal.

Ich habe den Laden hier seit 20 Jahren, aber die Kirche schert sich einen Dreck darum. Der Trödel Dödel ist einzigartig, der ist eine richtige Institution. Hier gibt es alles, vom Schnürsenkel bis zur Schrankwand, für kleines Geld. Jeder grüßt mich, jeder kennt mich, wenn ich über die Hermannstraße laufe. Die Leute kommen auch einfach nur zum Quatschen vorbei. Das ist mein Lebenswerk hier. Heute noch mal ein bezahlbares Ladenlokal zu finden ist absolut nicht einfach. Ich suche schon seit einem halben Jahr – nüscht. Wenn das Gebäude verschwindet, verschwindet wohl auch der Laden.

Zwischen der Hermannstraße und dem Friedhof Jerusalem V in Neukölln reihen sich mehrere Flachbauten aneinander, sie sehen eher wie Garagen aus. Einige beherbergen Ladenlokale – schon seit Jahrzehnten. Zwischen den Hausnummern 84 und 90 gib t ’s Zauberartikel, was zu essen, Trödel und vieles mehr. Aber nicht mehr lang, die Mietverträge aller Geschäfte laufen zum Ende des Jahres aus, die Nachkriegsbauten werden abgerissen. Sie weichen einer Randbebauung, Teil des Entwicklungskonzepts für insgesamt sechs Friedhöfe an der Hermannstraße. Die Friedhofsflächen werden seit Jahren nicht mehr gebraucht, daher teilweise geschlossen und anders genutzt. Eigentümer ist der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte. Die Planungen sind laut Pfarrer Jürgen Quandt zwar noch nicht abgeschlossen; dass die Bauten mit den Geschäften darin weichen müssten, sei auf kurz oder lang jedoch unvermeidbar. Mit mehr als zeitlich befristeten Verlängerungen dürften die Mieter*innen nicht rechnen.