Schröder am längeren Hebel

Planspiel 2: Schröder ist Kanzler. Er wartet. Bis zum Showdown – und amtiert weiter

BERLIN taz ■ Ende Mai, der Kanzler hatte gerade seinen Neuwahlplan ausgerufen, brachte die US-amerikanische Time Gerhard Schröder auf den Titel. Vor seiner unnachahmlichen Pokermiene prangte der Titel THE GAMBLER, der Spieler. Während deutsche Zeitungen sich über Schröders politischen Selbstmord lustig machten, wunderten sich die US-Schreiber, wie cool der Kanzler ihnen Rede und Antwort stand.

Seit Sonntag wissen es auch die BürgerInnen, wie gut der Kanzler pokern kann. Und Schritt für Schritt machen die Verfassungsrechtler nun deutlich: Schröder mag die Wahl knapp verloren haben, aber er befindet sich in keiner schlechten Ausgangsposition. Denn er ist Kanzler, und selbst wenn alle Koalitionsgespräche scheitern, könnte er die Union in eine Juniorrolle in der Regierung zwingen. Das Procedere der Kanzlerwahl im Bundestag jedenfalls bringt ihm viele Vorteile.

Ein Szenario auf dem Weg zum Großkoalitionskanzler Schröder sieht in etwa so aus: Weder Schröder noch Angela Merkel gelingt es, in Sondierungsgesprächen eindeutige Kanzlermehrheiten zu schaffen. Also versucht Merkel mit ihrer relativ größeren schwarz-gelben Mehrheit, sich zur Kanzlerin wählen zu lassen. Bundespräsident Horst Köhler schlägt sie dem Bundestag zur Wahl vor. Ziel ist die von vielen Christdemokraten angepeilte Minderheitsregierung unter Merkel. Es gibt nur eine Kandidatin. Angela Merkel verfehlt die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang.

Im zweiten Wahlgang, so will es der Artikel 63 Grundgesetz, können auch aus dem Bundestag heraus Vorschläge gemacht werden. Und im dritten Wahlgang wäre Merkel nicht mehr allein. Sie bekommt einen Gegenkandidaten, Gerhard Schröder zum Beispiel. Jetzt kommt es darauf an, wer die Mehrheit erringen kann – und da ist Schröder im Vorteil. Er hat zwar nur 273 rot-grüne Stimmen hinter sich, Angela Merkel immerhin 286. Aber die Wahl ist geheim, und warum sollten einzelne der 54 Abgeordneten der Linkspartei eine verhasste neoliberale Unionskanzlerin auf den Thron setzen? Dazu müssten sie sich nur enthalten. Votieren aber genug Linke für Schröder, dann wird er mit (geheim abgegebenen) Stimmen aus der Linkspartei gewählt. Merkel wäre gescheitert. Sie tritt ab. (Nicht wenige in der Union warten ja nur darauf, dass Schröder den Job für sie erledigt).

Gerhard Schröder wird nun aber, anders als es die Schreckgespenstermaler wollen, der Union nicht den Gefallen tun, eine rot-rot-grüne Truppe zu coachen. Er geht, jetzt ganz Staatsmann, auf jene Union zu, die gerade eine Niederlage erlitten hat. Und bietet ihr an, zum Wohle des Landes, in eine sichere große Koalition einzutreten. Als Juniorpartner Schröders, der es noch mal macht. Und in die Geschichte eingeht. Als großer Spieler der Macht. CHRISTIAN FÜLLER