Charmante Nummernrevue

Oper Abschied von der Bismarckstraße: Als letzte Premiere vor dem Umzug zeigte die Staatsoper in der Werkstatt des Schillertheaters die Jugendproduktion „Ouropera“

Zum Abschied noch ein Selfie: Die Jugend der Staatsoper posiert in „Ouropera“ Foto: Eike Walkenhorst

von Katharina Granzin

Sie haben sich ganz schön in Schale geschmissen, die jungen Frauen. Es glitzern die Abendkleider und funkelt das Geschmeide. Die jungen Männer stecken in adretten Anzügen. Schick muss sein, man geht ja in die Oper! Oder man tut jedenfalls so an diesem Abend, auch wenn man streng genommen schon in der Oper ist. Der Jugendchor und der Jugendclub der Staatsoper (in dem vor allem die szenische Arbeit geübt wird) führen zum Ende des „Infektion!“-Festivals ein Stück auf, das sich in seiner Struktur lose an John Cages Experimentalopern, seine „Europeras“, anlehnt. Aber es ist etwas ganz Eigenes geworden, „Ouropera“, unsere Oper, eben.

Der Zufall spielt hier allerdings, anders als bei Cage, wo ihm eine unabdingbare programmatische Rolle zukommt, nicht wirklich mit. Die Szenenfolge ist revueartig, doch ihr Ablauf genau choreografiert.Das übergreifende Thema „ein Abend in der Oper“ bietet den groben inhaltlichen Rahmen der theatralisch-musikalischen Collage. Die Werkstatt des Schillertheaters wird dafür zum letzten Mal zur kleinen Staatsopernbühne, denn dies ist die letzte Produktion des Hauses in der Bismarckstraße, bevor die großen Umzugskisten gepackt werden. Ab Oktober heißt es nämlich nicht mehr „Staatsoper im Schillertheater“, sondern wieder „Staatsoper Unter den Linden“.

Ein Opernfoyer im Kleinen ist in der Werkstatt aufgebaut, mit runden Stehtischchen, auf denen Weingläser und, als operntypische Pausennahrung, Brezeln verteilt sind. Die jungen Frauen und Männer, in kleinen Gruppen um die Tische verteilt, heben wie auf unsichtbares Kommando gleichzeitig an zu schnattern, zu gestikulieren, sich selbst darzustellen. Niemand hört dem anderen zu; es ist eine Geräuschkulisse, die dem echten Stimmengewirr im großen Opernfoyer täuschend ähnelt, sich im Unterschied dazu aber geplant an- und abstellen lässt.

Charmant und kreativ spielt „Ouropera“ mit dem musikalischen Potenzial von Alltagsgeräuschen. Cage hätte das sicher gefallen. Dazu gehören Ensembleszenen wie eben jenes Massenschnatter oder auch die originelle kleine Szene, in der alle sich die Lippen rot anmalen, sie anschließend mit lauten Plopp-Geräuschen aufeinanderpressen und für Momente einen kleinen Plopp-Chor bilden. Aber auch der richtige Chor hat zwischendurch richtige Gesangseinlagen – stimmstark, mitten auf der Szene und ganz ohne Dirigent. Die Einsätze klappen trotzdem erstaunlich gut.

Zwischen den großen Ensembleszenen haben viele der Beteiligten szenische Soli oder Dia­loge. Ein Paar ist abonniert auf absurde Endlosschleifen in der Dialogführung („Du hast die Opernkarten eingesteckt!“ – „Nein, du hast die Opernkarten eingesteckt!“ – „Nein, du hast …“). Ein anderes auf absurde Nichtkommunikation: Sie erzählt ihm voller Dringlichkeit irgendeine Nichtigkeit, während er demonstratives Desinteresse zeigt. Ein weiteres Paar sieht sich minutenlang nur schweigend und lächelnd an, wobei beide sich gleichzeitig auf hundert verschiedene Arten selbstverliebt die Haare richten.

Mit dem am Freitag zu Ende gegangenen „Infektion!“-Festival hat sich die Staatsoper auch von ihrem Ausweichquartier im Schillertheater verabschiedet. Dass man in Charlottenburg dann doch recht dauerhafte sieben Jahre die zwischenzeitliche Heimat hatte, hat mit den vielen Pannen und Überraschungen bei der Renovierung des Stammhauses Unter den Linden zu tun. Das hätte eigentlich bereits 2013 wiedereröffnet werden sollen, bei 400 Millionen Euro liegen die Kosten für der Renovierung.

Mit einem Open-Air-Konzert am 30. September auf dem Bebelplatz feiert die Staatsoper die Wiedereröffnung ihres Hauses, die Premiere im Haus am 3. Oktober mit Robert Schumanns „Sze­nen aus Goethes Faust“ ist bereits ausverkauft. Nach einem neuntägigen „Präludium“ schließt das Haus dann allerdings wieder für zwei Monate – die neue Technik muss noch den Erfordernissen der Musiker an­gepasst werden.

Alle paar Minuten passiert etwas Neues an einem anderen Ort im Raum. Eine junge Frau geht umher und trinkt die Reste aus den Weingläsern (was bei der Menge, die sie konsumiert, selbst dann noch eine starke Leistung ist, wenn es sich nur um Traubensaft handelt), so dass ihre körperliche Contenance zusehends schwindet. Eine andere hält einen langen Monolog mit dem Mund voller Brezel, was lustig ist, nicht obwohl, sondern gerade weil man wirklich rein gar nichts versteht.

In dem Jahr, das die Vorbereitung der Produktion insgesamt umfasst hat, haben die Mitwirkenden sich eine beachtliche Bühnenpräsenz erarbeitet. Darstellerisch und musikalisch souverän führen sie durch die unterhaltsame Nummernfolge, der allerdings ein richtiger Schluss fehlt. (Aber auch das hätte vermutlich Cages Wohlwollen gefunden.) Die letzte Szene besteht in der chorischen Befragung eines „Kammersängers“, der darauf beharrt, auch bei der 84. Vorstellung im ersten Akt keinesfalls wissen zu können, wie der fünfte Akt endet.

Klar, mit einer solchen Szene kann man aufhören, wenn es sein muss. Aber wenn es nach dem Publikum gegangen wäre, hätte der Abend auch gern noch länger dauern dürfen.