Kein Paradies unter karibischer Sonne

Der Name Jamaika weckt viel positivere Assoziationen als der Begriff „Schwampel“. Doch die tropische Heimat des Reggae leidet unter grassierender Gewalt, Drogenkriminalität, massiven sozialen Problemen und sehr hoher Staatsverschuldung

VON SVEN HANSEN

„Wegen der hohen Kriminalität ist besonders in der Hauptstadt Kingston, aber auch in städtischen Bezirken der Touristenzentren Montego Bay, Negril und Occho Rios erhöhte Vorsicht geboten“, rät das Auswärtige Amt allen Besuchern der Karibikinsel Jamaika. Deren Namen ist aufgrund der schwarz-gelb-grünen Nationalflagge zurzeit in Deutschland in aller Munde, um den unattraktiven Begriff schwarze Ampel („Schwampel“) für eine schwarz-gelb-grüne Koalition zu vermeiden. Doch wenngleich in dem Inselstaat, der halb so groß wie Hessen ist und 2,6 Millionen Einwohner mehrheitlich afrikanischen Ursprungs zählt, die Nationalfarben Gelb für Sonne und Grün für Hoffnung stehen, steht schwarz für die weit verbreitete Armut und Kriminalität.

„Es kommt nicht selten zu Diebstählen bzw. bewaffneten Überfällen. Die Bereitschaft, Waffen einzusetzen, ist hoch“, warnt das Auswärtige Amt und rät: „Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man sich möglichst nicht allein, vor allem nicht zu Fuß, außerhalb der Hotelkomplexe bewegen.“ Gewarnt wird auch vor Straßensperren, die gelegentlich aus Protest errichtet werden und sogar „die Hauptzufahrtsstraßen zu den Flughäfen blockieren“ können. Es könne zu „gewalttätigen Ausschreitungen und Zerstörungen“ kommen.

2004 starben in Jamaika über 1.300 Menschen eines gewaltsamen Todes, was bei der kleinen Bevölkerung weltweit der dritthöchsten Quote gewaltsamer Tötungen entspricht. Die Gewalt ist Resultat einer durch falsche Wirtschaftspolitik verschärften Armut und starker sozialer Gegensätze. Luxuriöse Touristenkomplexe stehen Ghettos der Armen entgegen. Die 90er-Jahre, in denen das Bruttosozialprodukt nur um 0,2 Prozent wuchs, waren eine verlorene Dekade. Korruption und Drogenkriminalität tragen das ihre bei.

Doch auch Jamaikas Polizei ist eine Ursache der Gewalt. Sie hat den Ruf, erst zu schießen und dann zu fragen. So warf zum Beispiel amnesty international in einem Bericht 2003 der Polizei vor, seit 1999 über 600 Personen getötet zu haben.

Das Pro-Kopf-Einkommen in Jamaika beträgt nur 2.700 US-Dollar. Mit rund 15 Prozent ist die offizielle Arbeitslosenquote dabei gar nicht einmal so viel höher als in Deutschland, doch ist das Ausmaß der nicht erfassten Schattenwirtschaft viel höher. Bekannt ist in Jamaika auch das hierzulande drückende Problem der Staatsverschuldung. Mit einer Schuldenquote von 136,6 Prozent des Bruttosozialprodukts ist es eines der höchst verschuldeten Länder der Welt.

Das politische Leben Jamaikas wird von zwei Parteien dominiert, die mit eigenen bewaffneten Anhängern selbst nicht vor Gewalt zurückschrecken. Im Unterschied zu anderen englischsprachigen Ländern ist in Jamaika die Labour Party die konservative Partei und die People’s National Party die sozialdemokratische. Der von Letzterer gestellte Premierminister Percival J. Patterson regiert seit 1992. Allerdings näherten sich die beiden großen Parteien in den letzten Jahren politisch und ideologisch an. Einig sind sie sich auch darin, das Land in eine Republik umzuwandeln, womit die Tage der britischen Queen als Jamaikas Staatsoberhaupt gezählt sind.

Wirtschaftlich lebt die Insel mehr schlecht als recht vom Tourismus, dem Bauxitexport (Nummer vier weltweit) und den Überweisungen im Ausland lebender Landsleute. Reggae, Rasta, Strand und Sonne bescheren der Insel trotz Kriminalität und sozialer Probleme rund 2,5 Millionen Besucher im Jahr. Damit liegt Jamaika in der Karibik nur auf Platz fünf.

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