American Pie
: Flucht vor dem König?

BASKETBALL Weil Kyrie Irving im Schatten des noch größeren Stars LeBron James steht, will er die Cleveland Cavaliers verlassen

LeBron James ist außer sich“, japste Stephen A. Smith ins Mikrofon. Der renommierte Basketballjournalist hatte am Montag gerade seine erste Radioshow nach einem Kurzurlaub – und kehrte mit einer spektakulären Nachricht zurück: „Ich habe Quellen in Le­Brons Umfeld, die sagen – und ich zitiere hier nur –, dass er ihn am liebsten ordentlich verprügeln würde, wenn er jetzt vor ihm stünde.“ „Er“ ist Kyrie Irving – und aktuell das Gesprächsthema der NBA. Denn Irving – neben Überspieler James der Star von Vizemeister Cleveland Cavaliers – soll seinen Klub um einen Wechsel gebeten haben.

Ein mittelschweres Erdbeben, ist der 25-Jährige doch von elementarer Bedeutung für den Erfolg der „Cavs“, bildet mit James, dem besten Basketballer der Welt, ein mitunter kongeniales Duo.

Ironischerweise liegen auch hier die Gründe für den plötzlichen Wunsch nach Veränderung: Irving sei sauer aufgestoßen, dass ein enger James-Freund stets im Team-Flieger mitreisen darf, ein Privileg, das ihm offenbar nicht angeboten wurde. Auch soll er beleidigt sein, weil nach der Entlassung von General Manager David Griffin nicht über die Personalpläne des Klubs informiert wurde. „Wir sind momentan in einer kniffligen Lage“, sagte Irving vor kurzem über die Personalsituation in Cleveland – andere Teams haben sich in dieser Sommerpause bereits maßgeblich verstärkt, bei den Cavs herrschte bisher Flaute. Getroffen haben sollen ihn außerdem Medienspekulationen, der Klub könnte ihn gegen andere Spieler eintauschen wollen.

Irving will gebraucht werden, wünscht sich eine Behandlung ähnlich der von Überspieler James. Einziges Problem: Ein Team mit James im Aufgebot wird stets ein James-Team sein – „King James“ ist in Cleve­land der Lokalheld, einer der besten Spieler aller Zeiten, hält alle wichtigen Teamrekorde und hat im Verbund mit Irving geschafft, was Irving alleine misslang: Erfolg. James, nicht Irving, trug die Cavaliers mit seinem virtuosen Spiel. Seit 2014 standen die Cavs mittlerweile vier Mal in Folge im Finale, gewannen 2016 ihre erste Meisterschaft überhaupt.

Dabei hatte Irving erst 2014 seinen Vertrag in Cleveland im Glauben verlängert, die Mannschaft über Jahre anzuführen – er spielt seit seinem NBA-Debüt 2011 für die Cavs. Nur wenige Tage später stand die überraschende James-Rückkehr fest. Irving wurde zum Edel-Sidekick – es ist meist der vielseitige Ausnahmeakteur James, der das Spielgerät kontrolliert. „Mit LeBron zusammenzuspielen ist einfach großartig“, erklärte Irving noch im Februar. „Du lernst so unglaublich viel darüber, was es bedeutet, ein Profi zu sein.“

Der in Australien als Sohn eines dort angestellten US-Basketballers geborene Irving ist das Rampenlicht gewohnt, war bereits an der High School und im College ein Star. Trainerlegende Mike Krzyzewski an der Duke-Universität formte das Talent zum Klassespieler.

Irving ist kein Point ­Guard klassischer Prägung, kein Vorbereiter, sondern Vollstrecker. Er attackiert immer wieder und verwandelt mit schlafwandlerischer Sicherheit auch schwierigste Korbleger. Selbst in jungen Jahren ist Irving bereits enorm abgeklärt: Im entscheidenden Spiel der Finalserie gegen die Golden State Warriors 2016 nahm Irving in der Schlussphase einen waghalsigen Dreier, obwohl Gegenspieler Stephen Curry ganz dicht an ihm dran war – und traf zur Vorentscheidung. Ein Abgang wäre ein schwerer Schlag für Cleveland: In den vergangenen Jahren waren die Cavaliers im Osten der NBA weitgehend konkurrenzlos. Irving soll die San Antonio Spurs, die New York Knicks, die Minnesota Timberwolves und die Miami Heat als Lieblingsziele genannt haben – jedes dieser Teams würde sich die Finger lecken nach einem Akteur seines Kalibers.

David Digili