Viele wollen den „Wolli“ zurück

Solidarität Joachim Wolbergs, SPD-Hoffnungsträger und Oberbürgermeister von Regensburg, ist suspendiert. Wegen Korruptionsverdachts. In der Stadt unterstützen ihn viele aber immer noch: Er sei eben kein „Dipferlscheißer“

Einst SPD-Hoffnungsträger, jetzt Exoberbürgermeister: Joachim Wolbergs Foto: Eibner/imago

Aus Regensburg Patrick Guyton

Eveline Stopfer hat ihn seit der Freilassung aus der Untersuchungshaft Ende Februar drei Mal getroffen. „Der ist so nah an den Menschen“, sagt die Regensburgerin zur taz. Stopfer leitet den Verein „Campuskinder“, der für Studierende in der Domstadt die Kinderbetreuung organisiert. Joachim Wolbergs, wegen Korruptionsverdachts vorläufig suspendierter SPD-Oberbürgermeister der Donaustadt, ist Vorstand der „Campuskinder“.

„Ehrenamtlich“, betont Stopfer. Wolbergs kümmert sich weiter darum. In den drei Sitzungen, seit die Welt von Joachim Wolbergs zusammengebrochen ist, zeigte er sich konzentriert wie immer. Doch die Vereinsfrau hat gemerkt: „Das setzt ihm alles sehr zu.“

Regensburg, 145.000-Einwohner-Metropole der Oberpfalz, kommt in der Bestechungsaffäre um Wolbergs nicht zur Ruhe. Wolbergs, 46, hatte 2014 das Rathaus eingenommen. In einer „bunten Koalition“ mit Grünen, FDP, Freien Wählern und Piraten sorgte er für eine, wie es Beteiligte beschreiben, „ungeheure Aufbruchstimmung“. Doch seit Mitte 2016 ermittelt die Staatsanwaltschaft. Er soll vom Bauunternehmer Volker Tretzel über Strohmänner 500.000 Euro für seinen Wahlkampf und persönliche Vergünstigungen bei Wohnungskäufen über 90.000 Euro erhalten haben. Wolbergs Gegenleistung, so der Verdacht: Tretzel erhielt den Zuschlag für ein Filet-Baugrundstück an der ehemaligen ­Nibelungenkaserne.

Mitte Januar 2017 geschah etwas hierzulande Einzigartiges: Der OB kam in Haft, sechs Wochen lang. Um Verdunkelung zu verhindern, wie es hieß. Damit er keine Akten verschwinden lassen und sich nicht mit mutmaßlichen Partnern absprechen konnte. Es schien so, als wendeten sich alle von ihm ab.

Doch mittlerweile zeigt sich, dass er weiter viele UnterstützerInnen hat. Diejenigen glauben nicht an die Verdächtigungen der Staatsanwaltschaft.

Helmut Kaiser etwa sagt: „Von seinem Charakter her traue ich ihm das nicht zu, ich habe ihn so oft erlebt.“ Wie er jetzt angegangen werde sei „jenseits von Gut und Böse“. Kaiser ist Musiker und Dozent – und Stopfers Ehemann. Seine Frau meint: „Solche Leute dürfen nicht niedergemacht werden.“ Auch die SPD-Stadträtin Margot Neuner gibt sich „überzeugt, dass er sich nicht bestechen ließ“.

Für die SPD ist das – sowohl in Regensburg als auch auf Landesebene – eine Katastrophe. Wolbergs galt bayernweit als dynamischer Hoffnungsträger. Mit der Inhaftierung ließ man ihn fallen. Der damalige Landesvorsitzende Florian Pronold riet ihm zum Rückzug. Dasselbe empfahl die Regensburger SPD unter der Vorsitzenden Margit Wild. Die Koalitionsparteien im Rathaus verlangen seinen Rückzug.

Joachim Wolbergs aber bleibt. Bis heute. Man kann das als Standhaftigkeit ansehen. Es gelingt ihm nach wie vor, Menschen von sich zu überzeugen. Auf Facebook hat er sich unlängst wieder gemeldet – mit einem Foto, auf dem er in weißem Hemd und mit dem für ihn typischen kahl rasierten Kopf konzentriert auf seinen Laptop schaut. Er bedankt sich herzlich „bei allen, die mir in den letzten Wochen und Monaten Mut gemacht haben“. 90 Kommentare hat er bekommen, fast alle sind positiv.

„Sie sind ein toller Mensch“, schreibt jemand. Ein anderer meint, dass er sich schon jetzt freut, „wenn sich die ganzen falschen Freunde bei ihm entschuldigen müssen“. Weiter heißt es: „Sie haben nichts falsch gemacht.“ Und: „Super Wolli.“

Die Süddeutsche Zeitung findet, Wolbergs habe sich „regelrecht verschanzt“. Als ein Phantom wird er beschrieben, das immer wieder durch die engen Gassen von Regensburg wandelt und nie greifbar sei.

Ist das so?

JournalistInnen gegenüber äußert er sich nicht. Verständlich, schließlich wird gegen ihn ermittelt. Doch Wolbergs ist in der Stadt, er hat seine Kontakte, seine Freunde. Dazu zählt etwa Christa Meier, 76, SPD, Exoberbürgermeisterin von Regensburg, Trägerin der bayerischen Verfassungsmedaille und des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. Als Ort für das Gespräch wählt sie das Museumscafé, eine Institution in Regensburg. „Wir telefonieren häufig und sehen uns“, sagt sie. Wolbergs helfe gerade, ihr Haus zu entrümpeln. Der Joachim packe gerne mit an.

Meier gilt als Wolbergs’politische „Ziehmutter“. Kennengelernt haben sie sich Anfang der 1990er Jahre. Damals war Wolbergs Schülersprecher am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium und Meier SPD-Landtagsabgeordnete. Sie nahm ihn mit nach München, wenn es dort um Bildungspolitik ging. „Sehr engagiert, sehr aufgeschlossen“ sei der junge Mann gewesen. Er stieg auf in der Regensburger SPD, 2008 wurde er Dritter Bürgermeister. „Er hat sich nicht bestechen lassen“, sagt die Frau mit dem Bürstenhaarschnitt: „Davon bin ich felsenfest überzeugt.“

„In finanziellen Dingen ist Wolbergs ein wenig naiv“

Helmut Kaiser, Musiker

Wolbergs verschanzt sich nicht. Erst jetzt hat sich Meier mit ihm zum Mittagessen verabredet, in einem stadtbekannten französischen Lokal.

Der Regensburger Buchhändler Ulrich Dompbrowsky wollte unlängst ein kleines, privates Treffen mit Wolbergs’Freunden organisieren. Thema: Wie kann man ihm helfen? Das gelangte an die Öffentlichkeit, schnell war die Rede von einem „Unterstützerkreis“, der wohl konspirativ arbeite. Das Treffen wurde abgeblasen.

Auch die Regensburger Obdachlosenzeitung Donaustrudel spricht Wolbergs ihre Solidarität aus. In der Sozialpolitik, sagt die Redaktion, habe er viele Verbesserungen durchgesetzt.

Nun warten alle auf die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, wie es weitergeht. Im „Sommer“ wollte sich die Behörde nach Angaben des Sprechers Theo Ziegler äußern, ob Anklage erhoben wird. Jetzt ist Sommer. Manche vermuten, dass die ErmittlerInnen gar nicht so viel in der Hand haben. Obwohl sie ihm, wie Eveline Stopfer sagt, bei der Durchsuchung „69 Fahnder auf den Hals gehetzt haben“.

Helmut Kaiser hat eine Vorstellung davon, wie es zu all dem kommen konnte. In finanziellen Dingen sei Wolbergs, so glaubt Kaiser, „ein wenig naiv“. Es interessiere ihn nicht. „Er ist hemdsärmelig, das Gegenteil vom Dipferlscheißer.“ Als solcher wird im Bayerischen ein Pedant bezeichnet, ein Erbsenzähler.

Im Falle einer Verurteilung hat Wolbergs selbst die für ihn schlimmste Strafe angekündigt. Dann werde er Regensburg verlassen. Joachim Wolbergs hat nichts anderes als Regensburg.