ausgehen und rumstehen
: Flüchten vor dem Wohlstandsmüll

Der Prenzlauer Berg erwacht Sonntags immer erst so gegen elf Uhr. Heute sind Bürgersteige schon früh voller Bürger und alle pilgern in die Wahllokale. Auch ich schließe mein Fahrrad an einem schlanken, silbernen Fahrradständer an. Jemand hat an der Oberseite des Ständers einen Aufkleber befestigt. „In Merkels Welt hab ich kein Geld“. Derart vorgeprägt betrete ich das Wahllokal. Innen ist es leer. Die sechs Augenpaare der ehrenamtlichen Wahlhelfer schauen mich erwartungsvoll an und verfolgen alles, was ich tue, mit gespannter Aufmerksamkeit. Jede noch so kleine Handlung hat jetzt Gewicht. In der Wahlkabine setze ich mich deshalb sogar auf den Stuhl und lese mir den Stimmzettel genau durch. Sicherheitshalber. Ich spüre, wie ich belauscht werde. Als ich den geknickten Bogen durch den Schlitz der Urne schiebe, nicken mir alle zufrieden zu. Ich habe es gut gemacht.

Draußen fühle ich mich wie ein Bürger, was ich sonst nie tue. Ich fahre zum Flohmarkt, was ich sonst auch nie tue, aber ich brauche ein Geschenk. Der Flohmarkt platzt aus allen Nähten, und mir fällt wieder ein, warum ich so lange nicht da war: Ich bummle nicht gern, ich eile lieber. Mein anfänglicher, flüchtiger Kaufimpuls war exakt mit dem Eintritt in die Masse erloschen. An seine Stelle war der Wunsch getreten, so schnell wie möglich wieder aus dem Gedränge herauszukommen.

Meine Füße trippeln unruhig auf der Stelle, während ich mich in Zeitlupe vorwärts schiebe. Ich wünsche mir eine Busspur, einen Mittelgang für Nervöse, durch den ich an allen vorbeiziehen kann. Die Flohmarktbesucher amüsieren sich, sie lachen, essen Würstchen und fassen alles an. Ihre Fähigkeit, in dieser ganzen bunten Flut ein Ding vom anderen zu unterscheiden, erstaunt mich. Ich selber weiß nicht, wo ich hingucken soll, und beschließe, meinen Blick einfach immer auf die Dinge zu heften, die meine Vorderfrau in die Hand nimmt, T-Shirts, Sonnenbrillen, Teekannen. Mit dieser Taktik schaffe ich es fast spielerisch nach draußen. „Ah, widerlich, der ganze ekelhafte, in zehn Jahren angehäufte Wohlstandsmüll“, begrüßt mich ein Freund mit Fingerzeig auf den Flohmarkt und macht dann seinem Unmut über die Wahl Luft, an der er sich widerwillig beteiligt hatte. Erleichtert höre ich auf, mich wie ein Bürger zu fühlen. Vielleicht wähle ich nächstes Mal einfach die asozialen Parasiten und debilen Grenzgänger von der Pogopartei. KATHARINA HEIN