ORTSTERMIN: PROZESS UM DIEBSTAHL DES ANGEBLICHEN STÖRTEBEKER-SCHÄDELS
: Immer Ärger mit Klaus

„Ich wollte dann nicht mehr auf den blöden Scheißkopf aufpassen“

Angeklagter im Schädel-Prozess

Die drei Angeklagten sitzen auf der Holzbank vorm Richter, als warteten sie schon zu lange auf den nächsten Bus. Eigentlich sollen sie die Hauptrolle spielen. Zwei von ihnen wird vorgeworfen, sie hätten vor knapp drei Jahren aus dem Museum für Hamburgische Geschichte den Schädel geklaut, der dem legendären Piraten Klaus Störtebeker zugeordnet wird. Der dritte Angeklagte, der als einziger am ersten Prozesstag aussagt, muss sich wegen Hehlerei verantworten. Aber die drei werden schnell zu Randfiguren.

Spektakulär wird der Diebstahl genannt, denn schließlich hat Hamburg kaum was wirklich glamourös Historisches zu bieten, außer eben Störtebeker, den Rächer der Meere, den Verschenker von Brot und Fisch an die Armen, die norddeutsche Antwort auf Robin Hood. Irgendwie logisch, dass es dann auch nicht darum ging, wer denn nun tatsächlich den Schädel wann geklaut hat und was genau mit dem Kopf geschah, bevor er 14 Monate nach seinem Verschwinden wieder im Museum landete. Der Mythos Störtebeker stand im Mittelpunkt, denn die Strategie der Verteidigung geht so: Es gibt keinen Beweis für die Existenz des Piraten Klaus Störtebeker und es gibt keinen Beweis dafür, dass dies hier wirklich sein Kopf ist – könnte auch wem Unbekannten gehören. Apropos gehören: Leichenteile könne sowieso niemand besitzen, darum hätte das Verfahren gar nicht eröffnet werden dürfen – wo kein Besitzer, da kein Diebstahl.

Und weil es mehr um den Piraten und weniger um den Schädel-Klau ging, warteten alle auf die Aussage des Historikers und Archäologen Ralf Wiechmann, Mittelalterexperte im Museum. „Störtebeker gab es schon“, sagt er, aber es gebe einen Streit darüber, ob es wirklich Klaus’ Kopf sei. „Dafür spricht, dass der Schädel besonders präpariert wurde.“

Wann wurde denn der Störtebeker nun hingerichtet, will einer der Verteidiger wissen, der den Eindruck macht, als wollte er jetzt ein für allemal den Streit der Historiker beenden. „Puh, nageln Sie mich da nicht fest“, sagt Wiechmann. Der Richter wird vor Freude ganz rot und im Saal wird gekichert. Hihi, festgenagelt, so wie Störtebeker und seine Piratenkollegen, die wahrscheinlich um 1400 in Hamburg hingerichtet und mit etwa 30 Zentimeter langen Stahlnägeln, die ihnen durch die Schädeldecke getrieben wurden, auf dem Großen Grasbrook gut sichtbar am Elbufer aufgespießt wurden. „Der war gut, nicht? Festgenagelt!“, sagt Wiechmann.

Eine Aussage machte nur einer der Angeklagten, er habe den Kopf nicht verkaufen wollen, sagt der 40-Jährige. Sein mitangeklagter Freund habe ihm den ollen Kopf bei einem Grillabend gezeigt. „Und ich wusste sofort, dass das Ärger gibt, habe ihn mitgenommen und versteckt“, sagt er. Seinem Freund sei es nicht gut gegangen, psychische Probleme, und er habe einfach so lange warten wollen, bis sein Freund den Kopf selbst zurückbringen könnte. 14 Monate lang versteckte er den Schädel, überlegte, den Kopf einfach in einer Tüte an die Museumstür zu hängen. „Aber dann hätte den ja wer finden und damit Fußball spielen können“, sagt er. Zuletzt versteckte er ihn, wie er sagt, in einem alten LKW auf einem Werkstattgelände, und beinahe wären LKW und Schädel verschrottet worden. „Ich wollte dann nicht mehr auf den blöden Scheißkopf aufpassen“, sagt er. Er übergab ihn der Polizei.

Vielleicht war auch alles ganz anders, das wird sich ja noch herausstellen, vielleicht, aber schön ist die Geschichte vom Kopf, der in Tüten, unter Betten, in LKW und Schubladen herumlag, schon. Egal, ob es nun Störtebekers Kopf ist oder nicht.ILKA KREUTZTRÄGER