Rebecca Barth
und Rebecca Barth war bei der einweihung eines Denkmals für Marie Juchacz
: Ein bisschen Wahlkampf

Ein paar Personenschützer lehnen mit ernsten Mienen und in steife Anzüge gepresst an ihren Dienstwagen. Wenige Meter entfernt lässt sich Martin Schulz auf die Bierbank in der ersten Reihe vor einer kleinen Bühne fallen. Freitagvormittag, die Arbeiterwohlfahrt enthüllt am Kreuzberger Mehringplatz ein Denkmal für ihre Gründerin Marie Juchacz, und Schulz kann ein bisschen Wahlkampf machen.

Juchacz war die erste Abgeordnete im Reichstag und hielt 1919 als erste Frau eine Rede vor dem Parlament. Dass sie für die Rechte der Frauen kämpfte, weiß Schulz als Vorlage zu nutzen, indem er die Zuschauer erinnert: „Wir haben das Frauenwahlrecht eingeführt!“ In der Nähe des Mehringplatzes befand sich bis 1933 die Zentrale und Wohlfahrtsschule der 1919 gegründeten Arbeiterwohlfahrt. Der Grünstreifen zwischen Plattenbau und Gitschiner Straße, auf dem das Denkmal steht, verzückt ganz offenbar die Verantwortlichen. „Ein wunderschöner Ort“, redet AWO-Präsident Wilhelm Schmidt gegen lärmende Lastwagen an.

Vor dem kleinen Partyzelt, in dem es Schnittchen und Getränke gibt, nehmen einige Rentnerinnen an Biertischen Platz. Warum man nicht schon früher darauf gekommen sei, Marie Juchacz ein Denkmal zu widmen, fragt sich Schmidt auf der Bühne. Die Wartezeit war lang, das Denkmal wurde umso größer. „Ein großes Denkmal für eine große Frau!“ Die Skulptur aus braunem Stahl ziert das Gesicht von Marie Juchacz, was die Schaulustigen aus dem Seniorenwohnhaus am Mehringplatz leider nicht sofort erkennen. „Man muss ein bisschen Abstand nehmen“, gibt die Historikerin Lydia Struck zu, selbst Urgroßnichte von Juchacz und erheblich am Entstehungsprozess beteiligt. „Aus der U-Bahn heraus erkennt man es.“

„Immer dieses Sozial-Gelaber“

Die Leitsätze der Arbeiterwohlfahrt sind aber nicht nur für die Leute in der U1 gut lesbar. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Toleranz und Solidarität – so ähnlich schallt auch Schulz von der Bühne. Die Menge applaudiert, ein Mann rollt die Augen: „Immer dieses Sozial-Gelaber“, sagt er genervt zu seinem Nachbarn. Einige Meter entfernt, neben den Dixi-Klos, steht eine Frau und hört schweigend zu, in der Hand einen Bettelbecher.