Heimatlos kubanisch

Kino Ob Filme von unabhängigen Produzenten als kubanisch gelten, bestimmt das staatliche Filminstitut

Von Jessica Dominguez Delgado

Die größte Filmdatenbank der Welt – die Internet Movies Database (IMDb) – weist in den vergangenen 57 Jahren 2.099 kubanische Filme aus einer großen Bandbreite von Genres aus. Viele davon sind im Land selbst völlig unbekannt. Die Filmindustrie, unter der Leitung des Instituto Cubano de Arte e Industria Cinematografica, ICAIC, steuert die Produktion, den Handel und den Vertrieb. Aber wenn etwas nicht offiziell als kubanisch definiert ist, dann bleibt der Film in einer juristischen Grauzone außerhalb der Funktionsmechanismen des ICAIC.

Zurzeit entsteht kubanisches Kino auf drei verschiedene Arten: staatsfinanziert, in Koproduktion mit anderen Ländern oder unabhängig. In jedem Fall aber ist es das ICAIC, das einen Film als kubanisch ausweist und aufgrund öffentlich nicht zugänglicher Kriterien über das Schicksal des Materials innerhalb der nationalen Grenzen entscheidet.

Weder das Jahresbudget für die Filmproduktion noch die Art, wie zu finanzierende Projekte ausgewählt werden, sind öffentlich und transparent. Sydney J. Levine, Autorin des Buches „Iberoamerikanisches Kino – Industrie und Finanzierung nach Ländern“, erklärt, dass es in Kuba kein ökonomisches Modell für die Entwicklung des Kinos gibt. Der Staat finanziert, aber er sieht das nicht als Investition an, man denkt nicht, dass es notwendig sei, das Geld wieder einzuspielen, und das macht es immer schwieriger, überhaupt noch Mittel bereitzustellen.

Internationale Koproduktionen waren eine Alternative. Kuba ist Mitgliedsland der Conferencia de Autoridades Cinematograficas Ibero­americana und hat bilaterale Koproduktionsverträge mit verschiedenen Ländern. Laut der IMDb-Datenbank hat Kuba seit 1960 insgesamt 1.903 Filme mit 93 verschiedenen Ländern koproduziert. Am häufigsten (140 Filme) mit den USA und mit Spanien (139 Filme). Mit Deutschland nur 39. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl unabhängiger Produzenten. Niemand kennt die genaue Zahl, denn sie bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone, obwohl viele von ihnen notwendigerweise mit dem ICAIC zu tun haben. Namen wie 5ta Avenida Producción, Island Film Cuba, Pirámide, La Rabia Pictures, El Ingenio und Aurora Productions sind bekannt und viele ihrer Arbeiten sind bei internationalen Festivals ausgezeichnet worden.

2001 erkannte das ICAIC diese Produktionen erstmals offiziell an und räumte ihnen Platz ein, beim Festival junger Regisseure gezeigt zu werden. Die Filme arbeiteten mit kubanischen Schauspielern und Technikern, behandelten nationale Themen und wurden in Kuba gedreht und fertiggestellt. Aber heute arbeitet das ICAIC nach einer Norm, einem festgelegten Prozess, der festlegt, ob ein Film als nationale Produktion zu gelten hat oder nicht.

Jede Vorführung geht nur in informellen Strukturen, alle Kinos sind staatlich, und es ist das ICAIC, das bestimmt, was gezeigt wird und was nicht. Viele unabhängige Filme kommen nicht über die Premiere bei Festivals hinaus, sie kommen nie in die Kinos, und dass sie es ins Fernsehen schaffen, ist extrem selten.

Wie sagt Gustavo Arcos in seinem Text „Casta de Malditos“: „Die kubanischen Filmschaffenden und Kritiker machen schon seit Langem auf die Probleme aufmerksam, die die gesamte Filmindustrie betreffen: Desorganisation, Inkohärenz, Atomisierung, fehlende Mittel, fehlende gesetzliche Grundlagen, Zensur, der Verlust von Führung, Mangel an Aufführungsräumen, unzureichende Unterstützung für Film- und Medienschulen …“ Der Streit über ein Filmgesetz ist nicht neu, er fing 2008 vor dem VII. Kongress der Uneac an, und bis heute ist nichts dabei herausgekommen.

Es ist dringend nötig, die bunte und vielfältige nationale Produktion aus den institutionellen Katakomben zu befreien. Heute kann niemand mit vollkommener Sicherheit wissen oder gar auflisten, was heute alles an kubanischem Kino gemacht wird. Es wird nirgendwo offiziell gelistet. Ein Großteil der kubanischen nationalen Filmproduktion ist heimatlos.

Jessica Dominguez Delgado, 26, ist Mitbegründerin des datenjournalistischen Portals „Postdata“ in Havanna