Ausgerechnet Angela

Im Postfeminismus kämpft die Frau allein für eine einzige Sache: sich selbstEine Frau, die ihren Machtwillen auslebt wie Merkel, gibt es bei Linken und Konservativen selten

VON HEIDE OESTREICH

Angela Merkel zur feministischen Ikone zu erklären, erscheint etwas gewagt. Als Kanzlerin würde sie am geschlechterpolitischen Status quo wohl kaum etwas ändern. Ihr Programm, das auf die weitere Privatisierung von Lebensrisiken setzt, kann klassischen Feministinnen nichts bieten.

Dennoch reitet Merkel auch auf einer Welle weiblichen Wohlwollens. Biografinnen zeichnen sie im goldenen Licht, in der Emma wird so handzahm über ihre apricotfarbenen Kostüme parliert, dass die SPD-Frauen öffentlich dagegen protestieren. Und die Union zu wählen, weil „endlich“ mal eine Frau dran sein soll, wird sogar in der ehemals SPD-affinen Zeit erwogen. Diese Welle macht Doris Schröder-Köpf offenbar so nervös, dass sie mit ihrem abstrusen Vorwurf, eine Kinderlose könne keine Familienpolitik machen, sogar einen ersten kleinen Zickenkrieg auf höchster politischer Ebene vom Zaun bricht. Und deshalb ist Merkel eine Ikone, weniger im idealistischen Sinn eines Idols als im buchstäblichen: ein Ebenbild, ein Zeichen.

Das Frauenbild, das Angela Merkel repräsentiert, ist eine Art neoliberal modifizierter Feminismus: Zum einen passt sie sich ein in Machtstrukturen, die männlich definiert sind. Zum anderen ist sie darin aber als Chefin, als mächtige Frau präsent – und nicht mehr nur als schwache Frau, wie es bisher im öffentlichen Machtarrangement vorgesehen war. Mit diesen beiden Charakteristika, so soll hier argumentiert werden, trifft sie exakt das Bedürfnis von Postfeministinnen nach individuellem Heroinnentum, das sich um strukturelle Barrieren nicht schert und es nicht nötig hat, diese zu beklagen. Die symbolische Stärke durch eine Frau an der Spitze strahlt für diese Klientel heller als Veränderungen, die die reale Situation der Frauen verbessern könnten. Kanzleramt für eine statt Kitas für alle. Das ist offenbar die Art, in der eine Frau in Deutschland 2005 mehrheitsfähig ist. Wie kommt das?

Die Anpassung an das männlich kodierte System ist südlich von Skandinavien unabdingbar, um als Frau überhaupt bis zur Kanzlerkandidatur zu kommen. Eine Kabinettssitzung wegen der Familie verlegen, das kann man vielleicht in Schweden machen. In Deutschland ist der Kanzler Patriarch. Merkel als Frau ist eine Abweichung. In den Medien kann man deshalb beobachten, wie in allen Variationen immer dieselbe ängstliche Frage auftaucht: Ist sie so stark wie ein Mann? Kann sie Papa ersetzen?

Interessanterweise soll dabei vor allem das Bild stimmen. Schröder hat es geschafft, seinen souveränen Auftritt von einer real mittelschlechten Politik zu lösen. Merkel probiert es umgekehrt: Ich seh nicht so aus, aber dafür kann ich es besser. Das schlucken die Medien nicht so schnell: Es gibt Kolumnisten, die können sich schlicht nicht vorstellen, wie Angela Merkel zum Staatsbesuch fremde Ehrengarden passieren kann ohne ganz und gar lächerlich zu wirken. Der hundertste Interviewer fragt, ob die Angela denn tatsächlich keine Angst vor den bösen Jungs in ihrer Partei habe. Daraus spricht nicht unbedingt Frauenfeindlichkeit, sondern eher die große Verunsicherung einer Gesellschaft, die Frauen generell wenig zutraut. Angela Merkel muss nun permanent beweisen, dass sie nicht hysterisch wird, keine Angst hat, alle Situationen meistert und auf gar keinen Fall ein Opfer ist. Sie kämpft doppelt: gegen das Image der schwachen Frau und gegen ihr persönliches Manko als nicht besonders mediengewandte Person. Ihre Strategie ist: keinesfalls die opferverdächtigen Frauendinge „krampfhaft“ (Merkel) betreiben, und keinesfalls Politik für die Schwachen machen, sondern auf die segensreiche Kraft des Einzelnen setzen. Nur, weil sie derart auf dem neoliberalen Mainstream reitet, ist Merkel überhaupt als Kanzlerin vorstellbar. Das ist sozusagen ihre Eintrittskarte.

Sollte sie nun auch noch erfolgreich sein, dann hätte sie in der Tat – zumindest für einige Zeit – die Schwäche zur Stärke gemacht. Dann wird die schwache Frau in der öffentlichen Wahrnehmung die starke Frau. Dann werden die Medien ihr Verhalten nicht mehr als Unbeholfenheit, sondern als Authentizität interpretieren, mit der sie gegen den Medienmann Schröder punkten konnte. Denn sie kandidiert in einer Zeit, in der es eine wirkliche Sehnsucht nach der starken Frau gibt. Schon ihr Griff nach dem Parteivorsitz wurde mit Retterinnen-Fantasien begleitet. Auch ist man der machistischen Allüren der Schröders und Fischers müde. Was anderes wär mal schön und wirkt modern. Und da kommt diese Frau aus dem Osten und weiß die Männerbünde in ihrer Partei bisher ebenso in Schach zu halten wie die unverschämtesten Journalisten. Das Spiel der Macht spielt sie immerhin so schlau, dass die Herablassung gegenüber dem Mädel, das doch bitte mal freundlicher gucken soll, gelegentlich schon umschlägt in diese merkwürdige Angstlust, die die Tories der Britischen Inseln zeitweise gegenüber ihrer Premierministerin an den Tag legten. „Handbagging Maggie“, eine Domina, die die Handtasche als Waffe zu nutzen versteht. Und hier liegt der zweite und sehr interessante Grund dafür, dass es gerade Merkel sein könnte, die uns als Frau regieren wird: Eine Frau mit Macht ist zwar etwas Ungewohntes, was ihre Behandlung nicht nur in den Medien zeigt. Aber sie evoziert auch ein psychologisches Urbild: das der mächtigen Mutter aus der frühen Kindheit. Und dieses Bild ist keineswegs nur negativ besetzt.

Die starke Frau kommt allerdings in der deutschen Öffentlichkeit bisher kaum vor: Im konservativ geprägten Geschlechterarrangement lebt die „starke Mutter“ ihre Macht eher im Haushalt aus als in der Politik. Erst die Frauenbewegung, die eher in den linken Parteien ihren Platz fand, hat die mächtige Frau wieder beschworen. Dies aber sozusagen ex negativo: als die Frau, die durch die Männermacht verdrängt wurde. Vor der die Männer so viel Angst haben, dass sie die Frauen nun unterdrücken müssen. So, dass die ehemals mächtige Frau zwangsläufig zum Opfer wird. Diese Beschreibung als einzige zuzulassen, wie es im Feminismus zeitweise Mode war, zementiert die Opferrolle und leugnet die Dominanz und auch die Täterschaft von Frauen. In beiden Szenarien, dem konservativen und dem linken, frauenpolitischen, kommt die Herrscherin, die mächtige Mutter, also quasi nicht vor: Die einen wollen nicht, die anderen erklären wortreich, warum sie nicht können. Eine Frau, die ihren Machtwillen auslebt wie Angela Merkel, gibt es daher selten. Weder in der Union noch in den linken Parteien kann man sich eine andere Frau vorstellen, die Helmut Kohl in einer Art symbolischen Vatermord vom Thron stößt, wie Merkel es tat. Vielleicht konnte nur jemand einen solchen Willen entwickeln, der nicht im Westen sozialisiert wurde – weder im Hausfrauen-Westen der Union noch im Feminismus der linken Parteien. Diese Seltenheit gilt daher per se als kostbar – egal, welche Politik sie betreibt.

Aus diesen beiden Techniken, der Anpassung an die männlichen Machtvorgaben und der Inszenierung als starke Frau, ergibt sich ein Modell, das für Postfeministinnen hochattraktiv ist. Ausgedrückt findet sich das etwa bei der SZ-Lifestyle-Autorin Rebecca Casati: „Angela Merkel wusste immer: Wer sich beschwert, ist ein Opfer. Und wer ein Opfer ist, kriegt keine Macht. Weil sie sich nie beschwert hat, bekommt sie bald Macht. Ist das so einfach? Ja, das ist so einfach.“ Und in der Financial Times Deutschland sekundiert Ines Zöttl: „Alice Schwarzer empfiehlt der CDU-Chefin, sich doch bitte offensiv für die Interessen ihres Geschlechts einzusetzen. Genau dies meidet ‚die Angie‘ wie die Pest und dafür sollten wir Frauen ihr danken.“

Im Postfeminismus kämpft die Frau allein für eine einzige Sache: sich selbst. Und damit kann Angela Merkel ebenso wie Margaret Thatcher zum Rollenvorbild werden. Die ehrgeizigen Jungautorinnen Deutschlands beschreiten den Weg des „New Feminism“ in Großbritannien. Ältere Frauenrechtlerinnen hatten Thatcher immer als eine Art Betriebsunfall der Frauengeschichte betrachtet. Spice Girl Geri Halliwell dagegen erklärte sie zum „Original Spice Girl“, zum Vorbild. Und ein signifikanter Teil ihrer Generation hat derart die Nase voll von Frauen, die sich beschweren, dass sie allen zujubeln, die den Opferdiskurs konterkarieren. Und wenn sie den Sozialstaat versenken und die argentinische Flotte noch dazu, dann ist es auch recht.

Angela Merkel personifiziert diesen Ein-Frau-Feminismus perfekt. Die Einzelkämpferin, die allen Widrigkeiten trotzt und ihren Weg geht, ist nicht nur die Ikone des Postfeminismus, sie passt deshalb auch perfekt in den neoliberalen Zeitgeist. Kollektive Rechte und Sicherheiten einfordern, das hieße ja zugeben, dass man es allein nicht schaffen könnte. Und weil sie ohnehin unter Opferverdacht stehen, können sich die jungen Frauen von heute weitere „Beschwerden“ nicht leisten, so lautet die Doktrin bedingungsloser Anpassung.

Die britische Frauenforschung hat für Margaret Thatchers Verdienste um die Frauen den Begriff „Free Market Feminism“ geprägt. Das ist ein hochattraktiver Feminismus der individuellen Stärke, der letztendlich funktioniert wie der Tellerwäschermythos in den USA. Es gibt einige wunderschön anzusehende Beispiele. Sie suggerieren: Jede kann es schaffen. Dass den meisten dafür die Ressourcen fehlen, wird zu ihrem ganz persönlichen Pech erklärt. Mit einem bisschen Willenskraft werden sie ihm aber bald entfliehen. Dieser Mythos wird von den wenigen, die oben angekommen sind, gehegt und gepflegt. Er garantiert ihnen das Privileg der Einzigartigkeit. Für die Mehrheit dagegen zementiert er den Status quo: Die reale Politik in England etwa zielt nach wie vor auf die „Worcester Woman“, die Mittelschichtsfrau, die das Haus versorgt und halbtags arbeitet. Die deutsche Politik behandelt seit Jahrzehnten trotz gegenteiliger Beteuerungen die deutsche Variante dieser Worcester Woman, quasi die Timmendorfer Teilzeitmutter. Und Angela Merkel, unser exquisites Rollenvorbild, macht nicht den Eindruck, als wollte sie daran etwas ändern.

Angela Merkel als Zeichen für den aktuellen Stand des Feminismus in Deutschland ist deshalb weniger das Zeichen eines hoffnungsvollen Anfangs. Die einzelne Frau an der Spitze, die es nicht wagt, strukturelle Veränderungen in der Geschlechterpolitik anzugehen, ist kein Sieg. Sie ist das Zeichen einer Leerstelle: Diese Gesellschaft kann sich mächtige Frauen so wenig vorstellen, dass sie die Ausnahmekarriere einer Einzelnen schon als Fortschritt betrachtet. Dass sie darüber das gerade mühsam errungene reale Fortschrittchen, nämlich den Einstieg in eine vernünftige Kinderpolitik, aufs Spiel setzt, zeigt nur, wie unreif die Gesellschaft in dieser Hinsicht ist.