Witzbold mit Herz

Premiere Frankfurt trifft beim 1:0 in Gladbach zum ersten Mal in dieser Saison. Nach Abpfiff dreht sich alles um den Torschützen Kevin-Prince Boateng, der seinen Treffer dem erkrankten Kicker Abdelhak Nouri widmete

Häuptling ohne Kapitänsbinde: Kevin-Prince Boateng im Zweikampf mit Matthias Ginter Foto: imago

Aus Gladbach Andreas Morbach

Niko Kovac musste auch hinterher noch mal schmunzeln, als er an die Aufmachung von Kevin-Prince Boateng zurückdachte. Schon während der Partie im Borussia-Park amüsierte sich Frankfurts Cheftrainer köstlich – beim Blick auf die Auswechselbank, auf der sein neuer Starspieler ab der 51. Minute notgedrungen Platz genommen hatte. Boatengs Schädel brummte nach einem Ellenbogencheck von Gladbachs Abwehrkante Jannik Vestergaard. Nun hockte der Siegtorschütze beim Frankfurter 1:0-Erfolg da, mit einem Eisbeutel wie eine Kippa mitten auf dem Kopf platziert. Und Coach Kovac kommentierte unbesorgt: „Er kommt aus dem selben Viertel wie ich, aus Berlin-Wedding. Von daher dürfte es keine Probleme geben.“ Will heißen: Wer wie Boateng in einem Problembezirk der Hauptstadt aufgewachsen ist und seine Jugend zu großen Teilen mit Kumpeln in Weddinger Fußballkäfigen zugebracht hat, den kann so leicht nichts erschüttern.

Doch Kovac hat in den vergangenen drei Wochen, seit der Ankunft des unkonventionellen Offensivspielers in Frankfurt, nicht nur den hartgesottenen Boateng kennengelernt. „Das ist ein Junge, der Gefühl hat, Empathie besitzt. Außerdem kann er eine Mannschaft führen, dazu braucht er keine Kapitänsbinde“, betonte der 45-jährige Übungsleiter, für den schon jetzt feststeht: „Er ist das, was wir in Frankfurt gebraucht haben. Und das haben wir bekommen.“

Der Mann mit dem gewissen Extra bringt neben einer Portion Glamour und seinen Qualitäten als Häuptling auch einen sehr speziellen Humor mit nach Frankfurt. Nach dem Premierentreffer für die Eintracht in dieser Saison und für Boateng am neuen Arbeitsplatz gab es davon gleich einige Kostproben. So widmete sich Frankfurts Nummer 17 den jüngsten Umwälzungen im Kader der defensivstarken Hessen und stellte fest: „Wir sind elf Neuzugänge mit 480 Sprachen in der Mannschaft.“

Einen weiteren ironischen Beitrag steuerte er zu seinem Übereifer nach 47 Sekunden bei – als er dem Kollegen Mijat Gacinovic einen Treffer klaute, weil er, im Abseits stehend, seinen Fuß noch gegen den Ball drückte. „Das wäre das einfachste Tor meiner Karriere gewesen, das wollte ich mir nicht entgehen lassen“, scherzte Boateng über die Szene ebenso wie über die Vorgeschichte zu seinem entscheidenden Treffer nach 13 Minuten.

Beim Einwurf von Mitspieler Jetro Willems deutete er noch an, er solle ihm den Ball auf Kopfhöhe servieren. Letztlich wurde daraus ein flaches Zuspiel seines Sturmpartners Sébastien Haller. Woraufhin Boateng das vorangegangene Signal an Willems flugs als „Täuschungsmanöver“ bezeichnete.

Für den 30-jährigen Witzbold war es der erste Bundesligatreffer seit 1.316 Tagen. Zuletzt durfte Boateng am 1. Februar 2014 gegen den VfL Wolfsburg jubeln, da steckte er noch im Trikot des FC Schalke. Via AC Mailand und UD Las Palmas führte ihn sein Weg nun zur Eintracht, die mit nur einem Treffer in dieser Runde auf vier Punkte kommt. Ein Höchstmaß an Effektivität also, die Boateng ungeachtet seiner Diebestat in der ersten Spielminute gewohnt selbstbewusst gleich auf sich übertrug: „Meine Leistung? Ich hab’ ein Tor gemacht und Stürmer werden an Toren gemessen.“ Mit seiner enormem Präsenz und Einsatzbereitschaft schwang er sich in der starken Anfangsphase der Gäste rasch zur Führungskraft auf. Sein 1:0 war die logische Folge.

Etwas überraschend war hingegen die Botschaft, die Boateng unmittelbar nach dem Treffer präsentierte. Unter seinem Trikot trug er ein T-Shirt, auf dem der Name des Ajax-Spielers Abdelhak Nouri gedruckt war. Nouri hatte Anfang Juli bei einem Testspiel gegen Werder Bremen eine Herzattacke erlitten, konnte zwar reanimiert werden, trug aber bleibende Hirnschäden davon. Weder kenne er Nouri persönlich noch dessen Familie, erklärte Boateng nach dem Spiel – und betonte: „Aber das Schicksal dieses Riesentalents hat mich mitfühlen lassen. Ich wollte etwas zurückgeben und zeigen, dass ich für den Jungen bete. Das Hemd mit seinem Namen werde ich jetzt die ganze Saison unter meinem Trikot tragen.“