Grenz-Überschreitung

GESCHICHTE Wie die taz in den Osten kam: sonntaz SEITE 18

Er reicht die taz in den Osten. Über die Mauer streckt er sie, der Grenzer greift zu. Die Szene spielt sich am Brandenburger Tor ab, 16. November 1989, sieben Tage nach dem Mauerfall.

Das Bild hat der Fotograf Paul Langrock gemacht, er sprach die beiden Männer nicht an. Wer sind sie? Den Mann in Uniform haben wir nicht gefunden, den auf der Westseite haben alte tazler erkannt: Er heißt Collin Dorn.

Die Geschichte mit Collin geht so: Eigentlich kommt er aus England, Gesangslehrer und Rockmusiker ist er. Wegen eines Plattenprojekts zieht er nach Nürnberg, von dort nach Westberlin. Bei der taz wird er Handverkäufer – und was für einer. Manchmal platzt er in ein italienisches Restaurant und brüllt „Spaghetti-Skandal! Spaghetti-Skandal!“ Die Gäste schrecken zusammen – und Collin hat ihre Aufmerksamkeit für sich und die taz.

Im November 1989 ist der Spaghetti-Trick nicht nötig. Die Mauer ist offen. Die Handverkäufer brauchen sich nur hinzustellen – weg gehen die tazzen von alleine. Nur dem Mann auf der Mauer muss Collin sie hinstrecken. Es ist einer der Momente, wo der Westen auf den Osten trifft. Diese Momente gibt es immer noch, nicht ganz so besonders, aber so interessant, dass 20 Jahre später 20 Zeitungsseiten davon handeln. Auch wenn die taz den Osten nicht eroberte und die Ost-taz wieder verschwand.

Was wurde aus Collin? Wir wissen, dass er eine CD aufnahm, sich über Kreuzberg ärgerte und einen Handel für Möhren und Kartoffeln aufmachte. Dann verliert sich die Spur. LÖW