DIE STREICHLISTEN VON KIRCHHOF UND EICHEL SIND NICHT VERGLEICHBAR
: Manöver im Steuerstreit

Die Union hat einen neuen Skandal entdeckt: SPD-Finanzminister Hans Eichel plane fiese Haushaltskürzungen, ja, er habe sogar eine geheime „Giftliste“ erstellt! Das kann die Union nicht ungestraft lassen. Nach der Wahl will sie einen „Lügenausschuss“ im Bundestag beantragen, um die versteckten Finanzpläne aufzuspüren.

Es ist zu verstehen, dass die Union eine neue Empörungswelle organisieren will. Nur so kann sie von der Kompetenzteam-Panne Paul Kirchhof ablenken. Bis heute hat der Ex-Verfassungsrichter nicht verraten, welche 418 Steuerausnahmen er streicht, um seinen minimalen Spitzensteuersatz von 25 Prozent zu finanzieren. Wenn nun auch Finanzminister Eichel eine „Streichliste“ geheim hielte, dann wären beide Lager wieder quitt.

Dieses Unionskalkül ist schlicht und basiert auf einer ebenso schlichten Lüge. Eichels Sparpläne sind nämlich weder neu noch unbekannt. Ja, sie sind noch nicht einmal seine eigene Idee – sondern ergeben sich zwingend aus dem Grundgesetz und aus den EU-Verträgen. Jeder Finanzminister hat zwei Grundregeln zu beachten: Die Neuverschuldung muss niedriger liegen als die Summe der Investitionen, und das gesamtstaatliche Defizit darf nur maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

Diese strengen Auflagen konnte Eichel bisher nur erfüllen, indem er das Bundesvermögen verscherbelt hat. Für das Haushaltsjahr 2006 reichen noch die letzten Reste, aber ab 2007 hilft nur noch: Steuern erhöhen oder radikales Sparen. Das weiß auch die Union. Sie hat daher an der parteiübergreifenden Koch-Steinbrück-Liste mitgewirkt, die mögliche Subventionskürzungen von jährlich 26 Milliarden Euro aufzählt.

Eichels Sparpläne sind also weder originell noch ambitioniert. Ganz anders Kirchhof: Er strebt eine steuerpolitische Revolution an. Wer diese letztlich finanziert – darüber entscheidet seine ominöse Streichliste. Je länger sie geheim gehalten wird, desto näher liegt der Verdacht, dass vor allem die Großverdiener beispiellos profitieren würden. Diese Entsolidarisierung wäre ein Skandal. Das will die Union nun vertuschen, indem sie einen neuen Aufreger erfindet. ULRIKE HERRMANN