Die Besserküsser

Auf der Suche nach einer Filmrolle finden sie die Freundschaft: „Schöne Frauen“ ist ein wunderbarer Film übers Frausein (20.45 Uhr, Arte)

VON SUSANNE LANG

So schön hat das Dilemma lange keine mehr veranschaulicht. Sie schmatzen, schlabbern, recken ihre zuckenden Zungen so weit aus dem Mund, wie es nur geht – sie demonstrieren, wie ein Mann küsst. „Das ist das Einzige, was sie wirklich unterscheidet“, sagt die schmale, zarte Karin mit den großen, braunen, traurigen Augen, „Männer können nicht küssen.“ Nein, sie pressen. Wobei die Frauen beim wirklichen Dilemma wären: besser, kein Mann zu sein und küssen können oder besser, eine Frau zu sein und gruselig geküsst werden.

Regisseur Sathyan Ramesh lässt Karin und die vier anderen „schönen Frauen“ in seinem gleichnamigen Film ihre eigene Antwort darauf finden – und macht damit nicht nur den Darstellerinnen auf eine ganz selbstverständliche Art ein Kompliment, das man im deutschen Film lange nicht mehr sehen durfte.

Während so viele mit dem leidigen Geschlechterthema in einer verpilcherten Klischeefalle steckengeblieben wären, nimmt Ramesh das Küssen als Leitmotiv, um seine Geschichte zu erzählen, die im Kern um die Folgen gelungener Emanzipation kreist: Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit versus Selbstzweifel und Einsamkeit.

Fünf junge Schauspielerinnen, fünf unterschiedliche Frauentypen, lässt Ramesh bei einem Casting aufeinander treffen, für eine Rolle – und dies eint sie von Anfang an –, die sie mit ihrem Anspruch an sich selbst nicht spielen wollen, sie aber brauchen. Sie warten, sie mustern, sie scannen sich gegenseitig. Sie zicken, sie verteilen Gehässigkeiten (an oberster Stelle, selbstverständlich, der Klassiker: „Sag mal, hast du zugenommen?!“), sie leben kleine Eitelkeiten aus („Verstehe den Veriss gar nicht, so schlecht fand ich dich nicht“). Sie nähern sich an.

Dann die spontane Entscheidung: Sie lassen das Casting sausen, für einen „Ich scheiß auf meine Figur und liebe nunmal Fritten“-Tag. Sie essen, trinken, rauchen, fahren ans Meer, trinken, rauchen, trinken. Reden. Über sich. Über die Beziehungen. Über die Affären. Über die Schauspielerexistenz. Über das Frausein. Sie mögen sich. Sie verletzen sich. Sie befreunden sich.

Dabei lebt der Film nicht nur davon, dass Ramesh die Rollentypen speziell für seine Darstellerinnen geschrieben hat – Clelia Sarto, die Taffe; Ulrike C. Tscharre, die Zarte; Julia Jäger, die Verschlossene; Caroline Peters, die Burschikose; Floriane Daniel, die Proppere. Er lebt nicht nur von seiner Authentizität, sondern auch von der Art, wie er die Frauen ins Bild setzt: Sie werden schön – immer wenn die Kamera die Gesichter weich zeichnet, immer wenn das warme Licht der Räume auf sie fällt. Nicht ihre Oberfläche ist schön, ihre gebrochenen, noch kurzen Lebensgeschichten machen sie dazu.

Ramesh inszeniert einen charmanten, oft witzigen, bisweilen melancholischen Reigen: fünf Töchter der Emanzipation, die weniger die anderen als vielmehr zu sich selbst finden. Die nicht ohne Beziehung, ohne Glück leben wollen und deshalb an sich selbst leiden. Die Männern auf Augenhöhe begegnen, selbst wenn die kahl geschoren und dickbäuchig sind und sie auf der Straße mit einem „Willste ficken?“ beglücken – denn so schnell macht ihnen keine diesen Blick nach, mit dem der Mann dem „Kannste küssen?“-Test unterzogen und mit einem „Nee, danke“ abgespeist wird.

So lautet eine der Antworten, die die „schönen Frauen“ finden: Freundschaft. Praktischerweise küssen Frauen auch besser.