INES GEIPEL
: So habe ich den Westen verändert

Schlichtweg gar nicht. Das sage ich bei aller Glückseligkeit des historischen Moments und aller Freude darüber. Sicher, meine Bücher haben nervöse Themen angefasst, Politiker geärgert, Kommissionen auf den Plan gerufen, Debatten eröffnet. Das ist nicht wenig. Letzten Endes aber waren sie kein wirksamer Beitrag zur Veränderung: Die DDR ist nach wie vor nicht den Fakten entsprechend delegitimiert, die unterdrückte Literatur des Ostens gehört noch immer nicht zu unserem kulturellen Gedächtnis, das Schulmassaker in Erfurt 2002 ist in zentralen Aspekten ungelöst geblieben, kein korrupter Sportpolitiker musste seinen Hut nehmen, der globale Dopingmarkt läuft wie geschmiert, in deutschen Haushalten gibt es keine einzige Mordwaffe weniger. Wenn mir jemand nach meiner Flucht 1989 aus der DDR prophezeit hätte, welche Erfahrungen ich mit den Medien und dem politischen Establishment im Westen machen werde, dem hätte ich entgegnet: Nun mal langsam mit den dicken Pferden. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer stehen ziemlich viele dicke Pferde auf der Koppel. Ich will damit sagen, wir haben alle zusammen ein heftiges Problem, das auch mit dem alten Denken des Westens zu tun hat.Kurzum: Ich kann sagen, dass ich mit einiger Energie versucht habe, diese und jene Korrektur anzumahnen. Es ist nicht geglückt. Ich bleibe dabei: Ob es eine wirkliche Idee von Deutschland geben wird, hängt vor allem auch davon ab, ob wir in Ost wie West zu echter Selbstkritik und Analyse der Widersprüche in der Lage sind.

Ines Geipel ist Schriftstellerin und Professorin für Verssprache. 1960 in Dresden geboren, lebt heute in Berlin